Buchhandel und Corona: Bücher sind doch Lebensmittel
Buchläden zählen in Berlin zu den unverzichtbaren Geschäften. Wohl auch deswegen ist die Stimmung unter den Buchhändler:innen kämpferisch.
Nun, in der Coronakrise, klingt Koch verglichen mit letztem Jahr regelrecht beschwingt, seinen Laden hält er geöffnet wie sonst auch. „Wir hatten seit Mitte März natürlich weniger Kunden im Laden, aber dafür wir hatten viel mehr Versand“, sagt er. „Wir haben die Coronakrise bisher gut weggesteckt.“
So oder so ähnlich geht es derzeit vielen Berliner Buchläden. Anders als in allen anderen Bundesländern außer Sachsen-Anhalt durften in Berlin die Buchläden auch während der Stilllegung des öffentlichen Lebens geöffnet bleiben.
„Natürlich war nach der ersten Überraschung die Verunsicherung groß“, berichtet Krischa Hasselbach von der 2014 gegründeten Buchhandlung Buchdisko in der Pankower Florastraße. „Spätestens aber nach zwei Wochen hat sich die Lage normalisiert. Ich hatte diesen Monat kaum Umsatzeinbußen“, sagt sie.
Bundesweit brechen Umsätze ein
In den Buchhandlungen bundesweit ist im Schnitt der Umsatz im Monat März im Vergleich zum März 2019 um 30 Prozent eingebrochen. Das ist eine Katastrophe für einen Typ von Unternehmen, der oft genug vom Idealismus lebt und am Existenzminimum operiert.
Krischa Hasselbach, Buchhändler
Insofern ist es für alle Buchläden in Deutschland, die geschlossen waren und diese Woche wieder werden öffnen können, eine gute Nachricht: Den Berlinern ist es trotz weniger Publikumsverkehr nach Einschätzung von Fabian Thomas vom Berlin-Brandenburger Börsenverein des deutschen Buchhandels trotz leerer Straßen und Plätze durchschnittlich besser ergangen.
Das zumindest hat eine Blitzumfrage des Börsenvereins ergeben, an der sich 46 Berliner Buchhandlungen beteiligt haben. Etwa ein Drittel gibt an, keine Umsatzeinbußen gehabt zu haben. „Die Stimmung ist kämpferisch“, so Thomas zur taz. „Die Buchhändler geben gerade Vollgas“, sagen auch Julian Müller und Angelika Siebrands von der Einkaufs-Genossenschaft EBuch, wo bundesweit mehr als 800 inhabergeführte Buchläden Mitglied sind, auch solche aus Berlin. „Sie stehen da von früh bis spät, sie kämpfen ums Überleben“, fügen sie an.
Und die Buchhändler sind dabei durchaus erfolgreich. Fabian, Müller und Siebrands berichten übereinstimmend von einer erstaunlichen Kreativität, die die Buchhändler in den vergangenen Wochen an den Tag gelegt haben: von jenen, die für ihre Kunden den Fahrradkurier gespielt haben etwa, von anderen, die nach Jahren der Fremdelei nun plötzlich doch sehr schnell zu Experten der Selbstvermarktung im Netz geworden sind und sogar selbst Lesungen streamen.
Der Börsenverein hat in den letzten Wochen kostenlos Kurse angeboten, wie man die eigene Webseite gestaltet und sich in den sozialen Medien präsentiert. Und die Genossenschaft EBuch hat Plakate für die Schließung und den Neustart von Buchläden in den meisten Bundesländern gestaltet, die sich die Händler ausdrucken und ins Schaufenster hängen konnten. All das wurde gut angenommen.
Und doch war der Umgang der Berliner Buchhandlungen mit den Einschränkungen durchaus verschieden. Mehr als die Hälfte der inhabergeführten Buchhandlungen hat ihre regulären Öffnungszeiten beibehalten. Eine davon ist etwa die Georg Büchner Buchhandlung in der Wörter Straße in Prenzlauer Berg. „Wir hatten den Eindruck, unsere Kunden konnten bei uns abschalten, als wären wir eine Oase der Normalität“, berichtet Buchhändlerin Alena Glandien der taz. Weder habe man darauf achten müssen, dass nicht zu viele Kunden im Laden seien, noch dass sie Abstand wahren. „Die Menschen sind hier bei uns von ganz allein sehr respektvoll“, sagt sie.
Ganz anders erzählt Nina Wehner von der Buchhandlung Buchkönigin in der Neuköllner Hobrechtsraße. Sie gehörte zum Drittel der Berliner Buchhandlungen, die laut der Blitzumfrage des Börsenvereins ihre Öffnungszeiten reduziert hatten – außerdem ließ sie auch keine Kunden mehr in den Laden, sondern stellte einen Tisch in die Tür und händigte nur noch bestellte Bücher aus. „Das Stöbern hat gefehlt“, sagt sie. Trotzdem hatte auch ihr Laden in Neukölln kaum Umsatzeinbußen.
Welle der Sympathien
Der wichtigste Grund, warum die Berliner Buchhandlungen derzeit so optimistisch in die Zukunft blicken, ist neben den guten Umsätzen der große Zuspruch der Kunden. Von Anfang an habe es eine große Welle der Sympathie und der Solidarität gegeben, berichten alle der von der taz befragten Buchhändler – die Kernkompetenz Vernetzung der ohnehin erstaunlich überlebensfähigen Berliner Kiezbuchläden trug also wieder einmal Früchte. „Es hat sich manchmal angefühlt wie Seele streicheln“, erzählt Krischa Hasselbach von der Buchhandlung Buchdisko.
Besonders als Ende März eine Nachricht aus dem Hause Amazon die Runde machte, der Onlineversandhändler wolle Büchersendungen nur noch nachrangig behandeln, da diese nun mal nicht zum täglichen Bedarf gehören, war die Empörung groß: und das nicht nur bei jenen, die sich sonst vielleicht eher selten in Buchhandlungen verirren.
Buchdisko, Florastraße 37; Öffnungszeiten derzeit Mo. bis Sa. 11 bis 15 Uhr, aktuelle Änderungen auf der Website buchdisko.de
Krimibuchhandlung Hammett, Friesenstraße 27, Mo. bis Fr. 10 bis 20 und Sa. 9 bis 19 Uhr
Georg Büchner Buchhandlung, Wörtherstraße 16; Mo. bis Sa. 10 bis 19 Uhr
Buchkönigin, Hobrechtstraße 65, aktuelle Öffnungszeiten auf der Facebookseite des Ladens: facebook.com/buchkoenigin (sm)
Dabei weiß doch jeder, dass Bücher Lebensmittel sind: Viele Menschen können ihren Job derzeit nicht machen, sie haben plötzlich wieder Zeit zu lesen, wissen die Buchhändler. Andere müssen Kinder bespaßen, die nicht in die Kita oder in die Schule dürfen. „Plötzlich kamen nicht mehr nur Stammkunden, sondern auch viele neue Gesichter“, berichtet Krischa Hasselbach von der Pankower Buchdisko. „Ich hoffe, wir können diese Neukunden halten“, so Christian Koch von der Krimibuchhandlung Hammett.
Es geht ihnen also gut, den Berliner Kiezbuchläden, zumindest im Augenblick noch. Dass die Großlage weiterhin bedrohlich ist, wissen die Buchhändler natürlich auch: Am Verkauf von Büchern hängen nicht nur sie, sondern auch die anderen bundesweit, die Verlage, die Autoren, die Literaturhäuser und Lesebühnen. Die Absage der Leipziger Buchmesse war für alle eine Schock. Aber auch, dass keiner weiß, wann je wieder eine Lesung wird stattfinden können, beunruhigt alle.
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