Buch vom letztem DDR-Innenminister: Diestel, von sich selbst ergriffen
20 Jahre nach Unterzeichnung des Einigungsvertrags stellt der letzte DDR-Innenminister Diestel sein Buch vor, mit dem er um späte Anerkennung fleht.
Der Abend beginnt mit Tränen. Tatsächlich, da steht er, schnieft ein bisschen und wischt sich das glitzernde Nass aus den Augenwinkeln. Aber! Wer wird denn gleich weinen? Es ist Peter-Michael Diestel, den die Rührung gepackt hat, weil er sein eigenes Buch so toll findet.
Denn darum geht es an diesem Abend in Berlin-Mitte. Peter-Michael Diestel stellt ein Buch vor, sein Buch. Der 58-Jährige hat von einem Super-Illu-Journalisten aufschreiben lassen, was er so erlebt hat, weiß und meint. Das könnte interessant sein, immerhin war der Mann mal richtig wichtig. Von Mitte April bis Anfang Oktober 1990 war er Innenminister der untergehenden Deutschen Demokratischen Republik. In diesen 174 Tagen hat er den Arbeiter-und-Bauern-Staat abgewickelt und - so viel darf man behaupten - dazu beigetragen, dass am Ende dieses aufregenden Sommers die DDR fachgerecht verpackt an die Westverwandtschaft übergeben werden konnte.
Zwanzig Jahre später ist der Rote Salon der Volksbühne rappelvoll, und wüsste man nicht, dass Diestel CDU-Mitglied ist - man dünkte sich auf einem Rentnertreffen der Linkspartei. Das liegt wohl daran, dass Diestels Buch "Aus dem Leben eines Taugenichts?" nicht, nur mal zum Beispiel, von dessen Parteikollegen Lothar de Maizière vorgestellt wird. Sondern dass auf dem Podium neben dem nobel gewandeten Diestel Gregor Gysi, Peter Sodann und der Koautor des Buchs sitzen.
Da hocken sie denn, vier Männer, und spielen das gute alte Weißtenoch. Gysi wärmt die Zuhörer mit seinen PDS- und Wende-Schnurren. Schauspieler Sodann liest immer mal wieder ein Kapitel vor. Moderator Hofmann beömmelt sich einfach über alles. Und Diestel? Gefällt sich in einer seltsamen "Ich bin ein neokonservativer linker Christ"-Pose, der er heute Abend wild entschlossen noch historische Relevanz hinzuzufügen gedenkt. Da ist die Rede vom hochverehrten Altkanzler Dr. Kohl, vom Freund Egon Bahr und der Grand Dame Margot Honecker. Der "liebe Gregor" wird als Zeuge haftbar gemacht für Besäufnisse im Staatsratsgebäude und angebliche Koffer mit den SED-Millionen. Ganz nebenbei bescheinigt er den Bürgerrechtlerinnen Bärbel Bohley und Vera Lengsfeld eine "defizitäre Fraulichkeit". Da ist er der Einzige, der lacht.
Man spürt: Dieser Anwalt Diestel, der seit zwanzig Jahren sehr erfolgreich die Ostelite, Stasi-Leute und Dopingsünder vor den bundesdeutschen Gerichten vertritt, ist ein Mann auf der Suche nach Anerkennung. Einer, dem das politische System den in seinen Augen überfälligen Respekt noch immer versagt. Er ist jetzt 58 Jahre alt, bei augenscheinlich bester Gesundheit, ein wohlhabender, gut vernetzter Anwalt mit reichlich Liegenschaften im Mecklenburgischen. Einer, den die Geschichte vor zwanzig Jahren in eine exponierte Position gebracht hat, der ausgesorgt hat. Aber politisch wird wohl eher nichts mehr aus ihm. Mit seiner CDU verbinde ihn "ein aufrichtiger Hass", sagt er an diesem Abend. Und die Linkspartei verfügt bekanntlich bereits über ausreichend Männer mit ausgeprägtem Ego.
Diestel mag es offenbar, angehoben zu werden, sich notfalls selbst ein bisschen anzuheben. Für das Buchcover hat er sich in Öl malen lassen, das Porträt zeigt ihn in der Pose des französischen Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord. Der, auf diese Feststellung legt Diestel Wert, habe beim Wiener Kongress 1814/15 so gut verhandelt, dass Frankreich damals keine Gebietsverluste erleiden musste. So sieht sich Diestel: ein gewiefter Typ, der klotzt, nicht kleckert. Und so sollte man womöglich auch die Abmessungen sehen, die das von ihm bestellte Ölporträt hat: beachtliche einszwanzig mal fünfundachtzig. Talleyrand-Périgord gilt Historikern übrigens als typischer Wendehals, der umtriebige Franzose machte in sechs verschiedenen Regimen Politkarriere. Das aber kann man Peter-Michael Diestel nun wirklich nicht nachsagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid