Buch über "Neue deutsche Mädchen": Sie wollen es wissen
Wie ist es, heute Frau zu sein? Jana Hensel und Elisabeth Raether haben darüber ein Buch geschrieben und nennen es "Neue deutsche Mädchen". Eine literarische Selbstbefragung.
Gleich zwei Neuveröffentlichungen, die sich der Rettung des Feminismus in Deutschland annehmen, führen Mädchen im Titel: Neben "Neue deutsche Mädchen" auch "Wir Alphamädchen" von dem Autorinnentrio Haaf, Klingner und Streidl. Ergibt das einen Sinn? Die "Neuen deutschen Mädchen", um die es Jana Hensel und Elisabeth Raether, beide um die 30, in ihrem Buch geht und mit denen offensichtlich vor allem sie selber als Freundinnenpaar gemeint sind, wollen sich nichts mehr von der Männergesellschaft gefallen lassen. Sie wollen endlich erwachsen werden.
Jana Hensel, die 2002 mit ihrem Wende-Erinnerungsbuch "Zonenkinder" zur Bestseller-Autorin wurde, hat sich in den vergangenen Jahren öfter zur Frauenfrage geäußert. Ob beim Klüngeln mit Ulf Poschardt in Volker Panzers Nachtstudio oder in der Zeit mit einem Aufmachertext zum Frauentag 2005: Hensel pochte auf die Disziplin- und Leistungsbereitschaft der Frauen und konstatierte, dass der Feminismus "zu seiner eigenen, steinernen Erfolgsgeschichte" geworden sei, "sich selbst überlebt" habe. Dem durchweg sexistischen "Männerdämmerung"-Text von Frank Schirrmacher zollte sie dabei zumindest Achtung: "In seiner viel gescholtenen Polemik, die Frauen übernähmen mit der Bewusstseinsindustrie auch die Macht in Deutschland, begegnet er den wenigen, die es tatsächlich geschafft haben, also Sabine Christiansen, Liz Mohn, Ulla Berkéwicz, Friede Springer, da, wo sie sind, verschärft logischerweise den Ton und nimmt sie ernst. Das geht in Ordnung, die Frauen dort oben müssen sich zur Wehr setzen können."
"Wie ist es, heute eine Frau zu sein?" steht als Frage am Anfang ihrer literarischen Selbstbefragung - beachte: nicht Mädchen. Doch Hensel und Raether entschärfen von vornherein den hohen Anspruch ihres Buches, indem sie die Frauenfrage eher privatistisch abhandeln. Die exemplarischen Biografien der zwei Autorinnen, eine aus dem Osten und eine aus dem Westen, beide waren als Jugendliche mit der gesamtdeutschen Nachwende konfrontiert, sollen darüber Klarheit verschaffen. Hensel und Raether leben in Berlin, in dem inzwischen der "Charme des Provisorischen" dem "Glanz des Repräsentativen" gewichen ist, wie sie schreiben. Und auch die Zukunft ist aus Berlin raus, "es ist nun ganz Gegenwart und droht, ins Vergangene zu kippen, Zitat zu werden". Ein mit Melancholie versetzter Deutungswillen weht durch dieses Buch.
Bis sie zu den Schlussfolgerungen kommen, die den angestaubten Feminismus wiederbeleben sollen, beschwören sie eine "Zeit der Unschuld", erzählen sie von der Phase des präfeministischen Bewusstseins: "Wir sind uns [...] bewusst, dass es eine, nennen wir es ungenau: unschuldige Zeit im Leben fast jeder Frau gibt. Gemeint sind die Jahre, in denen man sich über sein Leben und seine Chancen in der Gesellschaft Illusionen machen kann, weil man noch keine Kinder hat und nur für sich selber auf der Welt ist. Von dieser Zeit handelt unser Buch."
Raether und Hensel schildern ihre Bewusstwerdung abwechselnd über sanft und hübsch formulierte, autobiografisch anmutende Anekdoten, um von dort aus zu verallgemeinern. Die Erfahrung mit verschiedenen Männern, ob sie nun Alain, David oder Christian heißen mögen, verdeutlichen ihnen vor allem Machtverhältnisse: Affären machen auf Dauer sowohl unselbstständig wie unglücklich, und das teure Abendessen sollte nicht - zumindest nicht immer! - vom Mann bezahlt werden. Das Praktikum in der Redaktion einer überregionalen Zeitung machte Hensel wenig Spaß. Sie durfte über die Sexmesse "Venus" schreiben - "es verstand sich von selbst, dass ich nicht moralisch, kritisch oder so werden solle" -, über Angela Merkel aber nicht, das galt als Männersache. Da passiert es: "Allmählich begann ich, die einzelnen Zeichen wahrzunehmen und miteinander in Verbindung zu bringen." Hensel hatte eine Frauendämmerung. Aus solchen literarisch etwas banal wirkenden Aha-Erlebnissen formt sich ein erwachendes feministisches Bewusstsein, das man als Leser/in quasi voyeuristisch miterleben darf.
Feministischen Alltag zu erklären und ein Umdenken einzufordern, ist eine gute Idee und wurde bereits präzise und mit viel Spaß und Schwung 2007 von Jessica Valenti in ihrem Buch "Full Frontal Feminism" auf den Punkt gebracht. Aber wozu sollte man sich den Generationenschuh von Hensel und Raether anziehen? Ist es nicht genug, Zusammenschlüsse mit dem schauerlichen Titel "Mädchenmannschaften" zu propagieren, wie es Haaf, Klingner und Streidl tun? "Neue deutsche Mädchen" möchte ein bisschen sein wie Allen Carrs "Endlich Nichtraucher!": bekehren und gleichzeitig unterhalten. Und kann dabei nicht so richtig loslassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!