■ Brüssel: Nur die EU kann Europa vertreten
Mein erster taz-Artikel zum Thema „Europa“ wurde nicht gedruckt. Man wolle „nationalistischen Tendenzen“ keinen Vorschub leisten, war die Antwort. Das war 1992. In einem Meinungsartikel hatte ich analysiert, daß ein ökologisches und soziales Reformmodell nur von starken sozialen Bewegungen durchgesetzt werden kann. Deren Aktionsbedingungen seien jedoch auf europäischer Ebene viel schlechter als auf nationaler Ebene, weil es vor allem wegen Sprachbarrieren keine gemeinsame Öffentlichkeit gebe.
Heute finde ich meine damalige Sichtweise zu begrenzt. Das Kapital wird immer flexibler und kann sich seine Standorte aussuchen. Gleichzeitig wird in immer mehr Wirtschaftsbereichen Freihandel vereinbart. Wenn es den Industriestaaten nicht gelingt, ihre Sozial- und Umweltstandards auch in den relevanten Schwellenländern zu etablieren, droht ein Deregulierungswettlauf in selbstzerstörerischem Ausmaß. Auf die globale Vereinbarung von hohen Schutzniveaus zu warten, ist naiv. Das hat auch der Umweltgipfel in Rio gezeigt. Wichtig ist dagegen, daß erfolgreiche Vorreiterrollen zur Nachahmung führen, weil Bewegungen vor Ort auf das positive Beispiel verweisen können.
Marktzugangsbarrieren für Low-Standard-Produkte müssen diese Entwicklung flankieren. Hier aber kommt man um die europäische Integration nicht mehr herum. Nur die EU ist stark genug, die ökologischen und sozialen Interessen Europas im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO wirksam zu vertreten. Und nur ein integrierter Binnenmarkt ist relevant genug, um mit seinen Standards Ausstrahlungswirkung zu erzielen. Umso wichtiger ist die Frage, wohin sich Europa entwickelt. Es gibt bisher weder ein Bekenntnis zum ökologischen und sozialen Umbau, noch einen Durchbruch der Deregulierer. Sicher ist nur: Was in der EU passiert, ist unsere Innenpolitik.
Solange es aber soziale Bewegungen auf europäischer Ebene schwerer haben als zu Hause, lastet auf Medien wie der taz eine umso größere Verantwortung. Es sind die Medien, die die erforderliche europäische Öffentlichkeit herstellen müssen.Christian Rath
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