: Bruch des Moratoriums
■ betr.: „Europa muß Frankreich dankbar sein“, taz vom 12./13.08.1995
Vraiment? Einem Autokraten gleich hat Chirac die Europäer nie gefragt, ob sie diese erweiterte Form der atomaren Abschreckung wünschen und ob sie ihre Interessen mit den „nationalen vitalen Interessen“ Frankreichs deckungsgleich sehen.
Wenn Politikern die Vorstellungskraft über die Folgen ihres Tuns auf menschliches Leben, ja die Achtung menschlichen Lebens überhaupt (und jedweden Lebens auf der Erde) fehlt, beschwören sie gern das Abstraktum „nationale Interessen“, womit alles gerechtfertigt werden kann. Dazu paßt, daß der französische Botschafter in Bonn die angeblich 4200 Menschen, die im Umkreis von 1000 km um das Atoll leben, gegen die sieben Millionen Menschen aufrechnet, die im selben Umkreis der amerikanischen Versuchsorte in Nevada leben. Ignoriert er, daß sie als Versuchskaninchen der „wissenschaftlichen Erforschung“ von Strahlenschäden dienten?
Wem sachliche Argumente fehlen, versucht sein gegenüber mit dem Vorwurf der Emotionalität, des Vorurteils und böser Absicht zu disqualifizieren. Emotional heißt: den Gefühl zugehörig. Wo dies ausgeblendet wird, stirbt Leben. Technokratisch-politolokratisches Denken tötet.
Die angekündigten französischen Atomversuche haben nur erneut sichtbar gemacht, daß Atomwaffen weiter entwickelt werden. Die Vorgänge in den Simulationslabors bleiben der Öffentlichkeit mehr verborgen, sind auch sinnlich weniger zu vermitteln. Es ist notwendig, daß eine öffentliche Diskussion über einen weltweiten Bann atomarer Massenvernichtungsmittel in Gang kommt.
Inzwischen halte ich den Boykott französischer Waren für legitim — ohne Vorurteil und ohne böse Absicht, solange die französischen Wähler gegen die Entscheidung ihres Präsidenten, die die Lebensrechte von Menschen verletzt, nicht energisch protestieren. Einsichten laufen leider meist über den Geldbeutel. Als es um eigene Wirtschaftsinteressen ging, haben französische Bauern und Fischer in der Vergangenheit bewiesen, daß sie sich durchaus wirksam zu artikulieren verstehen. Ich bedaure es, daß sich Frankreich, das Land der Aufklärung, mit dem Bruch des Moratoriums auf das Niveau Chinas begibt, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Antonie Kaifenheim, München
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