Brotkunst: Das Herzding des Inselbäckers

Wilfried Meier betreibt Helgolands einzige Backstube. Sämtliche Zutaten kommen mit dem Schiff - und wenn es nachts stürmt, findet Meier beim Gedanken an die Hefe manchmal keinen Schlaf.

Das Meier-Brötchen braucht keinen Vergleich mit der Festlandware zu scheuen. Bild: Ulrike Schmidt

"Hm", sagt Bäcker Wilfried Meier, "dann kommt mal Sonntag um 8.30 Uhr bei". Wo ist die Backstube? "Am Hafen", sagt Meier, "das findet ihr schon. Der Nase nach." Warum einfach, sagen sich Helgoländer gern, wenn man auch ein kleines Rätsel daraus machen kann?

Die Insel hat ein Industriegebiet. Das sehen die Touristen nicht, weil sie, wenn sie vom Fähranleger kommen, schnell dran vorbei rennen, und wenn sie zum Fähranleger gehen auch. Das Industriegebiet liegt gegenüber der Tankstelle, an der es den billigsten Kraftstoff Deutschlands gibt - Diesel für 80 Cent, zollfrei. An der Straße ist die Tankstelle für die Helgoländer Autos, die mit Kraftstoff laufen, und die man an einer Hand abzählen kann, weil auf der Insel nur Elektroautos erlaubt sind. Am Wasser ist die Tankstelle für die Schiffe, die manchmal noch einen Kanister fürs Auto mitnehmen. Wahrscheinlich ist das nicht erlaubt, aber egal.

Jo! Da riecht es tatsächlich nach frischen Brötchen. Tür auf, "komm rin". Da sitzt die Belegschaft von Inselbäcker Meier und schmökt den frischen Brötchenduft weg. Die Belegschaft hat jetzt Feierabend, weil sie gegen drei Uhr nachts mit der Arbeit begonnen hat. Das ist der Lebensrhythmus der Bäcker, auf Insel und Festland.

Rundstück 30 Cent

Vollkornbrötchen 45 Cent

Ein Weißbrot 2,40 Euro

Vollkornbrot 500g 1,90 Euro

Butterkuchen, Stück 1 Euro

Butterkuchen, Blech, ungefähr 30 Stück 22,50 Euro

Vollkornstange (der Wahnsinn, mit Mandeln, Nüssen, Rosinen) 1,50 Euro

Bäcker Meiers ganzer Stolz: Stollen, 100g, 1,45 Euro

Croissant 75 Cent

Vollkorncroissant 95 Cent

Laugencroissant 90 Cent

Konfekt, 100g, 2,30 Euro

Kaffee, Becher, 1,40 Euro

Kaffee, Tasse, 1.30 Euro

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Wilfried Meier ist 76 Jahre alt, sie haben ihm so ein "Herzdings" eingesetzt, nach einem Infarkt, er kann aber nicht aufhören, weil, solange kein Nachfolger da ist, die Insel keinen Bäcker mehr hätte, wenn er Schluss macht. Ein Albtraum. Am Stammtisch hat er mal gesagt: "Ich verkauf meinen Scheiß." Da war aber vielleicht was los.

Meier arbeitet nicht mehr. Er kommt nur jeden Morgen, schnuffelt den Duft und erklärt den Bäckern, wie es richtig geht. Das mit dem Brot und den Kuchen, den Brötchen, dem Gebäck und den Sandwiches. Meier weiß natürlich, dass seine zwölf Mitarbeiter, davon sechs in der Backstube, wissen wie es geht, er hat es ihnen schließlich beigebracht. "Ich scheiß nur noch klug her", sagt Meier.

Das mit dem Nachfolger ist schwierig, weil Meier einen Batzen Geld in alles gesteckt hat, die Brötchenanlage von 1973, die Kühlräume, die beiden Läden, der eine im Unterland, der andere im Oberland, in dem seine Frau, wenn es Not tut, mithilft. Das waren große Investitionen. Meier hatte Schulden über beide Ohren, und nun sind die Banken sehr reserviert, wenn es drum geht einem jungen Mann einen Kredit zu geben, damit er alles übernehmen kann.

Wie geht das überhaupt? Backen auf einer Insel, 60 Kilometer vom Festland weg? Das Mehl kommt zwei Mal pro Woche von Bäko aus Bremerhaven, auch alles andere bringen die Fähren: Eier, Milch, Quark, Jogurt. Meistens sind die Eier heil. Sind die Erdbeeren tiefgefroren - weil das doch einfacher wäre? "Bah", sagt Meier, "schmeckt unser Erdbeerkuchen so, als seien die Erdbeeren tiefgefroren"? Nein, tut er nicht. "Na also", nickt er und dann: "Wir wollen mal so weitermachen." Einfach ist nicht.

Bei jedem Sturm kommt einer mit besorgter Miene angedackelt und fragt den Meier: "Hast Du auch genug Mehl?" Und Meier sagt seit Jahrzehnten: "Da kümmer dich mal nicht drum." Im November und Dezember 2008 war es wild auf dem Wasser rund um Helgoland. Wer dabei war, wirds so schnell nicht vergessen. "Wir haben für vier Wochen genügend Öl und Rohstoffe, es kann nichts passieren. Nur wenn Marita vergisst, Sahne zu bestellen, wird es eng", sagt Meier. Alle lachen, Marita wird rot.

Es passiert aber dann und wann, dass Meier bei einem Sturm, der sein Haus knacken lässt, aufwacht, und in seinem Kopf steht die Frage: "Hefe? Frische Hefe?" Dann weiß er aber, dass genügend Hefe da ist, und schläft wieder ein. Am 20. Mai 1969 hat er hier angefangen und die Bäckerei von seinen Eltern Henny und Wilhelm übernommen. Das liegt mehr als 40 Jahre zurück. Wilfried Meier ist auf Helgoland geboren, sein Vater, Jahrgang 1903, war Bäcker und hat 1959 hier wieder angefangen. Als man auf und mit Helgoland wieder etwas anfangen konnte. Wilfried Meier war damals als Bäcker auf Norderney und 1966, er weiß das noch wie heute, saß er mit einem Kollegen zusammen, und sie haben Doornkaat und Bier zugesprochen, bis der Kollege mit der Idee von einer Bäckerei auf Helgoland um die Ecke kam. Es brauchte mehr Doornkaat und Bier, bis sich Meier das vorstellen konnte.

Dafür hat er sich dann ziemlich nüchtern angestellt.

Er könne sich ja sagen: Es gibt keine Konkurrenz weit und breit, die Helgoländer müssen seine Sachen kaufen, also kann er schludern. "Neinneinnein", sagt Meier und schüttelt den Kopf und zischt und brummt. Nicht mal die Viecher auf der Insel, etwa die Galloways im Oberland, fressen die Chemiebrötchen der Backfabriken, die törichte Touristen vom Festland mitbringen. Die Galloways gucken die Brötchen an und trollen sich. Diese Touristen haben es bei den Galloways verschissen.

Mit einer Schludereinstellung der Handwerker würde Helgoland vor die Hunde gehen. Es ist schon schwer genug mit gutem Brot, mit schlechtem wäre das Leben kaum auszuhalten. Meier hat sich gefragt: "Wie mache ich vernünftige Brötchen?" Gutes Mehl nehmen, dem Teig Ruhe geben. Aus der Not heraus hat er dann ein Verfahren entdeckt, bei dem er die Brötchen über Nacht kühl lagert, wodurch er die Gärung unterbricht und der Entfaltung des Geschmacks mehr Zeit gibt. Beim ersten Mal war er unsicher, wie diese Brötchen schmecken würden. Er warnte die Kunden, die an diesem Morgen in die Läden kamen: "Weiß nicht, wie die heute sind." Am Stammtisch - wir merken: der Stammtisch ist wichtig - hieß es dann: "Was ist denn bei dir los?" Meier, der vor lauter Aufregung über die neue Brötchenback-Methode nicht geschlafen hatte, zuckte zusammen. "Deine Brötchen", sagten die am Stammtisch, Meier zog schon den Kopf in den Nacken, "haben heute viel besser als sonst geschmeckt".

Da hat er sich erst einen kleinen Kühlschrank gekauft, dann einen großen Kühlraum gebaut. "Das war wieder teuer, oh weh", sagt Meier. Dann wurde sein Verfahren in einer Versuchsbäckerei ausprobiert. "Heute gibt es bei mir nix anderes mehr", sagt er und grinst. Die Kollegen auf Föhr und Westerland backen auch so. Das Meier-Brötchen.

Der Inselbäcker hat, "warten Sie mal", sagt er, "28 Sorten Brötchen, 40 Sorten Brot, 80 Kuchen und Gebäcke". Laugensachen hat er nicht gelernt und die Finger davon gelassen. Es war mal ein schwäbischer Bäcker da, für ein paar Monate, aber der hat es auch nicht hingekriegt. Wahrscheinlich ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch für anständige Brezeln.

Seine Mitarbeiter sind seit Jahren bei ihm. Eine Verkäuferin seit 30 Jahren. Renate Liedtke, Bürokauffrau, seit 13 Jahren, und ihr Sohn Marc, Kfz-Mechaniker, der die Anlagen in Schuss hält, seit elf. Marko Pohl, 34, Bäcker, aus Berlin, kam übers Arbeitsamt, wollte eine Saison bleiben, und hängt seit neun Jahren fest. "Vernünftige Frauen", klagt er, gibt es wenige." Marita, Konditorin, seit vier Jahren hier, aus Itzehoe, antwortet: "Vernünftige Männer gar nicht."

Haben wir das auch geklärt.

Die Luft ist dick im Nebenraum der Backstube. Meier hat einen Butterkuchen auf den Tisch gestellt, den ein "Idi-ot", wie man hier sagt, falsch geschnitten hat. "Nicht nur das Backen ist eine Kunst", sagt Meier, "das richtige Schneiden auch." So einen Butterkuchen in den Verkauf zu bringen, wäre der Anfang von Schludern.

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