Britta Steffen erschwimmt Gold: Nicht nur geträumt
Die Individualistin Britta Steffen gewinnt nach 16 Jahren das erste Olympia-Gold für den Deutschen Schwimmverband.
PEKING taz Also doch! Sie hat es geschafft. Die Tränen fließen in Strömen. Dann strahlt sie: "Ich hätte nie gedacht, dass mir dieser letzte Durchbruch gelingt." Britta Steffen ist angekommen im Schwimmolymp. Sie hat gezeigt, was sie kann. Augen zu und durch! So beschreibt sie ihr Rennen.
Sie wollte einfach für sich schwimmen. Auf Bahn sieben springt sie ins Becken. 100 Meter krault sie. Erst am Ende schaut sie auf die Bahn rechts neben ihr. Dort schwimmt Lisbeth Tricket, die Weltrekordlerin. Als Steffen anschlägt, 4 Hundertstel vor der Australierin, weiß sie, dass sie den Zweikampf mit der Frau, die ihr den Weltrekord entrissen hat, gewonnen hat. Sie scheint gar nicht wissen zu wollen, auf welchem Platz sie gelandet ist. Lange schaut sie nicht zur Anzeigetafel hoch. Warum? "Ich wollte mich einfach nur freuen, weil ich so ein super Rennen geschwommen bin." Dann sieht sie die Eins hinter ihrem Namen. "Ich dachte, ich bin in einem Traum", sagt sie später, "und gleich wache ich auf und muss die 100 Meter noch einmal schwimmen." Es ist die erste Goldmedaille für deutsche Schwimmer seit dem Sieg von Dagmar Hase vor 16 Jahren in Barcelona.
Britta Steffen behält die Fassung. Zunächst. Dann kann sie nicht mehr an sich halten. Sie weint und weint. Franziska van Almsick steht am Beckenrand. Steffen geht auf sie zu, heult sich an der Schulter ihrer früheren Trainingspartnerin aus. Deren Traum vom Olympiasieg ist nie in Erfüllung gegangen. Als Britta Steffen später sagt, der Druck sei gar nicht so groß gewesen, weil sie sich mit ihren bisherigen Leistungen in Peking aus dem Favoritenkreis verabschiedet habe, mag man ihr nicht glauben. Sie ist außer sich. Lange.
Schließlich hört sie auf zu weinen. Sie stellt sich der Presse. Sie weiß, dass keine kritischen Fragen gestellt werden. "Haben Sie eine Erklärung dafür?" - das war die Frage nach dem Staffelrennen über 4 x 100 Meter, als die Deutschen Fünfte wurden. "Wie fühlen Sie sich jetzt?" - das ist die Frage, die der Siegerin des olympischen Finals gestellt wird. Steffen erzählt von der Nacht vor dem Wettkampf, sie habe das Finale geträumt. Mitten in der Nacht sei sie aufgeschreckt aus dem Traum. Steffen genießt das Wohlwollen, mit dem ihre Zuhörer verfolgen, was sie sagt. Sie dankt ihrem Trainer und ihrer Psychologin. Zu je 50 Prozent seien Norbert Warnatzsch und Friederike Janofske für ihren Erfolg verantwortlich. Der eine hat den Siegerkörper geformt, die andere der Spitzenschwimmerin den Glauben an ihre Stärke gegeben. Viele haben darüber geschrieben, als sei Steffen psychisch krank, weil sie lange Probleme hatte, in wichtigen Rennen zu zeigen, was sie kann.
Die 24-jährige Berlinerin sitzt in der Pressekonferenz auf dem Platz, der für die Sieger reserviert ist. Immer noch strahlt sie. Und endlich wirkt sie sicher. Sie weiß jetzt, dass sie alles richtig gemacht hat in den letzten Monaten. Als sie einen Start für Deutschland in der 4-x-200-Meter-Staffel abgelehnt hat, wurde sie beinahe schon als Staatsfeindin behandelt. Sie wollte sich auf ihre Strecke, die 100 Meter Freistil, konzentrieren. Aus der vermeintlichen Vaterlandsverräterin ist schnell ein neuer Liebling der Nation geworden. Sie hat als Individualistin gewonnen. Steffen ist mit ihrer Zeit von 53,12 Sekunden nur 7 Hundertstel über ihrer persönlichen Bestzeit geblieben. Ihr ist gelungen, was die meisten im Team nicht geschafft haben. Sie war zum richtigen Zeitpunkt fit. Als einzige echte Goldhoffnung genoss sie Freiheiten, die andere nicht hatten. Jetzt ist sie Olympiasiegerin. Ein Erfolg des Deutschen Schwimmverbands war das nicht. Auch das lässt sie anklingen. Da ist das Rennen noch keine Stunde vorbei. Und Steffen ist beinahe richtig cool.
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