Britischer Conscious-HipHop von Plan B: Das Gesicht unter dem Kapuzenpulli
Der britische Pop liebt den „working class hero“. In Ben Drew von Plan B hat er einen neuen Protagonisten gefunden, der seine Wurzeln stolz präsentiert.
Im letzten Sommer entdeckte die Welt eine neue britische Jugendkultur. Junge Männer, in der Regel arm, arbeitslos und mit Einträgen im Strafregister. Sie wurden als Plünderer bei den Riots 2011 ausgemacht und sind die beliebteste Projektionsfläche der Insel.
„Chavs“ – „Council Housed and Violent“ heißen diese Jugendlichen in der Umgangssprache. Für den durch seine Fernsehauftritte bekannt gewordenen Historiker David Starkey sind sie der Beweis, dass in der „weißen“ Arbeiterklasse eine „gewalttätige, destruktive, nihilistische Gangsterkultur“ in Mode gekommen ist. Marxisten hätten sie vielleicht als Lumpenproletariat bezeichnet. Im Jargon der Sozialpolitik heißen sie „Neet“ (Not in Employment, Education or Training). Letztlich sind Chavs die Verlierer der Deindustrialisierung: ohne die nötigen digitalen Skills und mit prekären Jobs am unteren Ende der Dienstleistungsökonomie.
Ben Drew hätte einer von ihnen sein können. Er stammt aus Forest Park im Londoner Stadtteil Newham, zwei Kilometer östlich vom Olympiapark, einem der ärmsten Stadteile des Landes. Mit 16 wurde er von der Schule geworfen und kam in ein Heim für Schwererziehbare. Dort lernte er HipHop kennen und lieben. „Wir hatten das Gefühl, die Gesellschaft interessiert sich nicht für uns“, beschreibt er seine Schulzeit bei einer Veranstaltung der Zeitung The Observer. „Also haben wir uns von Rappern, die wir nie im Leben treffen würden, erziehen lassen.“ Wegen dieser Geschichten hängt ihm die Mittelklasse an den Lippen.
Als Plan B hat sich Ben Drew mit zwei Alben vom Schulabbrecher zum Millionär hochgespielt und dabei sein bleiches, leicht verlebtes Gesicht gewahrt. Drew ist einer dieser „working class heroes“, die der britische Pop liebt, weil sie ihre eigenen Geschichten verkörpern. Einer wie Noel Gallagher von Oasis, der zusammen mit seinem Vater für Sozialhilfe anstehen musste und dem man deshalb alle „Champagne Supernovas“ verzeiht.
Posterboy der Riots
Nach seinem millionenfach verkauften Album „The Defamation of Strickland Banks“ hat Plan B jetzt sein soziales Gewissen entdeckt. Mit „Ill Manors“ zeigt er, wie es sich in den Sozialbauten lebt, die einst der Stolz der britischen Wohnungsbaupolitik waren, aber mittlerweile zum Synonym für gesellschaftliche Übel geworden sind. Plan B wird so zum Posterboy der Riots, zum Gesicht unter dem Kapuzenpulli.
„These streets are full of corruption, it’s easy to get corrupted“ rappt er über Pianosprengseln. „Ill Manors“ ist auch der Titel eines Films, den Ben Drew geschrieben und inszeniert hat: ein Jugendlicher muss in einem Initiationsritus das Mitglied einer verfeindeten Gang erschießen. Dialogfetzen des Films liegen unter den Songzeilen. Auch deswegen wird „Ill Manors“ als die Rückkehr des Protestsongs gefeiert.
Dennoch ist Plan B mehr als ein Kitchen-Sink-Rapper. Als „verbal stipulator“, der die Bedingungen des Sprechens diktiert, beschreibt er sich in „I’m the narrator“ und zitiert im nächsten Vers den New Yorker Wu-Tang Clan. Die Council Estates (Sozialwohnungen) sind immer auch ein Code, eingebettet in eine Tradition des Erzählens über das Ghetto. In dieser pflegen nicht nur Medien und Staatsapparate ihre Mythen, sondern auch die Ghettobewohner selbst. Plan B weiß das.
Orchestrator des Sozialrealismus
Im Titelstück „Ill Manors“ erzählt er von einer Elendssafari in den Londoner Osten, auf der Reisenden alle Klischees begegnen. Die Begafften schießen ihrerseits mit den gleichen Klischees zurück, die Premierminister David Cameron heranzieht, wenn er über die Zustände in „Broken Britain“ redet: Gewalt, Drogenhandel und Straßenkriminalität. Aber sie übersteigern diese, um schließlich doch bei der Ökonomie zu landen: „We’re just bloody broke in Britain.“
Dennoch ist Plan B auch ein Orchestrator des Sozialrealismus, das zeigt seine Musik. Egal ob er über einem Schostakowitsch-Sample eine Rockgitarre auspackt oder einen dieser klassischen BoomBap-Beats mit ein paar Streichern veredelt – Plan B ist leider wenig empfänglich für den Pop, der im letzten Jahrzehnt von den Piratenradios bei ihm um die Ecke gesendet wurde. Seinen salvenhaften Raps fehlen die sinnbefreiten Wortspiele von Grime, die in erster Linie Affekte kanalisieren und eben keine Geschichte erzählen wollen. Auch die roughen House-Beats, die den Osten Londons mit der Peripherie der Metropolen in West- und Südafrika verbinden, vermisst man.
„Ill Manors“ ist zuerst Conscious-HipHop, eine Straßenpredigt über die Zustände in den Tower Blocks, die uns Mittelschichtsangehörige bekehren soll. Denn so ist das halt mit dem Ghetto vor unserer Haustür. Man stellt es sich ja doch eher so vor, wie Plan B es beschreibt. Und er sorgt dafür, dass wir bekommen, was wir hören wollen.
Plan B: „Ill Manors“ (Atlantic/ Warner)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis