■ Briefwechsel der SPDler Duve und Koschnick über Bosnien: „Tornado-Einsätze jetzt, für was?“
Lieber Freimut,
ich bin erst relativ spät in den Besitz der taz mit Deinem Artikel vom 14.12.94 gekommen. Nun, ich kann mich mit Dir und prinzipiell auch mit Cohn-Bendit identifizieren. Es gibt eine Form von Pazifismus, die nichts – aber überhaupt nichts – mit der Schaffung einer friedvollen Welt zu tun hat. Mein Entsetzen über das Versagen der Demokratien (nicht der Völkerbundstaaten, diese haben nur bedingt etwas mit Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit zu tun, sonst wären weder die UdSSR, noch Hitler-Deutschland oder Mussolinis Italien als Mitglieder aufgenommen worden) in der Abessinienfrage oder der Hilfeverweigerung für die spanische Republik war seit meinem Erwachsenwerden stets ein prägendes Element meiner politischen Aktivität. (Von dem beschämenden Versagen der Konferenz von Evians Ende 1938 will ich gar nicht reden, denn obwohl damals noch eine konkrete Chance bestand, viele Tausende Juden aus Deutschland und Österreich zu retten, wurde nur die Aufnahme von 30.000 zugestanden.)
Ich bin auch in der Balkanfrage für ein entschiedenes Handeln und will nicht rechten, ob nicht bei der frühzeitigen Anerkennung der Selbständigkeit von Slowenien und Kroatien das serbisch-kroatische Problem besser erkannt werden mußte. Es geht mir nicht „um Schnee von gestern“ – auch nicht darum, wie demokratisch legitimiert eigentlich HOS oder HDZ (HVO) waren. Diese Diskussion führt nicht weiter. Auch eine rückschauende Betrachtung von Erklärungen muslimischer Führer über die „jetzt mögliche Brücke zur islamischen Welt“, die 1989, 1990 und 1991 noch eine gewisse (zumindest propagandistische) Bedeutung für die aufbrechenden nationalistischen Gegensätze hatten, helfen nicht weiter. Fest steht: hier in Bosnien-Herzegowina will man die muslimische Bevölkerung vernichten oder wie am Ende des 15. Jahrhunderts in Spanien zur Konvertierung zwingen. Das ist eine makabre Situation nach fast 400 Jahren Humanismus und Aufklärung.
Wenn es aber um Waffeneinsatz – auch von deutschen Einheiten – in Bosnien-Herzegowina oder in der kroatischen Krajina geht, dann sind allerdings einige Fragen mehr zu bedenken, als sie bei Dir oder Cohn-Bendit zum Ausdruck kommen.
Da steht einmal unsere geschichtliche Belastung aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Gewiß, diese darf kein Anlaß zur Verweigerung der Akzeptanz einer internationalen Verantwortung sein, aber Grund für eine sehr sorgfältige Abwägung. Wie Du weißt, bin ich für die Gestellung einer „Blauhelm-Einheit“ in Makedonien, nicht anstelle der US-Amerikaner, sondern neben ihnen. Das AA denkt an Berg Karabach, eben wegen unserer Geschichte, doch ich denke, der Brand vor unserer Haustür läßt eine Verlagerung unserer Interessen in den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan nicht zu.
Auch bin ich für einen aktiven Einsatz militärischer deutscher Verbände, wenn es darum gehen sollte, die Unprofor-Einheiten aus der Balkanregion „herauszuhauen“. Wir können nicht passiv sein, wenn es skandinavischen, holländischen, belgischen, französischen, englischen und spanischen Verbänden „an den Kragen“ geht, sie erfüllen dort für Europa eine UN-Verpflichtung. Wer sich hier verweigert zu helfen, gibt die europäische Einigung (wie immer sie am Ende heißen mag) auf und nimmt ein zerrissenes, dann auch nationalistisches europäisches Nebeneinander in Kauf.
Aber „Tornado-Einsätze“ jetzt, für was? Zum Freikämpfen von Versorgungslinien, die eigentlich vom UN-Sicherheitsrat nur verbal angemahnt und nie geschützt wurden? Einsätze in Bihać, wo eben nicht nur serbische Verbände gegen B-H-Verbände kämpfen, sondern auch muslimische Truppen gegeneinanderstehen? Fragen über Fragen, und wo sind die glaubhaften Antworten?
Ist es nicht so, daß ein jetziges Eingreifen von Tornado-Kampfflugzeugen als eine Kriegserklärung gegen die (unbestritten Hauptschuldigen) bosnischen Serben verstanden werden muß, die Belgrad zum reaktivierten Eingreifen zwingen muß? Und wenn das alles wider Erwarten doch Erfolg haben sollte, müssen wir dann die verhängnisvollen Forderungen nach Konföderationen ernsthaft prüfen und sogar zustimmen, um des Friedens willen? Doch was kommt dann? Eventuell doch das Abtreten serbischer und kroatischer Teile von Bosnien-Herzegowina an die beiden Nachbarn? Und sollte es vorher wieder zu einem Krieg zwischen Kroaten und Muslimen (Bosniaken) kommen, was ja wohl das (geheime) Ziel von Belgrad ist, wer wird dann einen Tornado-Einsatz gegen wen fordern?
Gerade weil ich den Krieg zwischen Bosniern und Kroaten in Bosnien-Herzegowina und darüber hinaus nicht für unwahrscheinlich halte, warne ich vor einem Tornado-Einsatz jetzt. Doch verbindliche Zusagen, Unprofor im Abzugsfall nicht im Stich zu lassen, sondern konkret zu helfen (mit Jagdbombern genügt dann nicht – auch sind diese dann schon Teil eines kriegerischen Einsatzes und wir damit konkret involviert, also nicht mehr außenstehend – alles andere ist Augenwischerei!), das macht Sinn. Es würde auch deutlich machen, daß wir nicht die Jahre 1935/36 und folgende vergessen haben, sondern uns unserer europäischen oder internationalen Verantwortung bewußt sind.
So, das in aller Kürze. Ich wünsche Dir und uns mehr Einsicht der Akteure der Welt- oder Europapolitik in die Bedingungen der Zeit; vielleicht führt das zu einer friedvolleren Welt.
In diesem Sinne in Verbundenheit Dein Hans Koschnick (Mostar, den 26.12.94)
Lieber Hans,
Danke für Dein Schreiben. Und großen Dank für Deine Arbeit. Sie ist vielleicht das wichtigste, was derzeit im Namen Europas im geschundenen Bosnien geschieht. Nicht allein im Namen Europas, sondern auch in der Tradition der europäischen Aufklärung: Menschen verschiedener Religionen müssen zusammenleben können. Wo eine Gruppe von Menschen ausgesondert wird, mit der Behauptung, man könne nicht zusammenleben, wird die Aufklärung Europas verraten. Das war der zentrale europafeindliche Aspekt der Rassenlehre der Nazis.
Du wirst Dich erinnern, daß mich die dramatische Wahrheit, die Du in Deinem Brief ansprichst — es gibt einen Vernichtungswillen gegen die bosnischen Muslime — seit Beginn des Krieges umtreibt. Und fast ebenso fassungslos macht mich das Schweigen so vieler Freunde der Linken, mit denen ich seit Jahrzehnten gegen Apartheid publiziert und demonstriert hatte, die diese größte aller denkbaren Bedrohungen Europas nicht sahen: Eine religiös begründete Vernichtungsenergie gegen eine Minderheit. Sie findet sich unter Herzegowina-Kroaten ebenso wie im serbisch besetzten Teil Bosniens. Daß trotz dieser Bedrohung in der Tuzla-Region bis heute die Kultur des Zusammenlebens höher bewertet wird als die falsche Logik der Trennung, ist ein Hoffnungsschimmer für Europa.
Froh bin ich, daß wir übereinstimmen bei der Frage, ob die Bundeswehr bei der technischen Vorbereitung des derzeit von niemandem gewollten Abzugs der Blauhelme mit dem angeforderten Gerät helfen sollte. Ich halte dabei die Frage, ob diese Hilfe als Schutz auch durch Tornados erfolgt, für nicht unwichtig, aber für zweitrangig. Klar muß sein: Deutschland, dessen humanitäre Hilfe niemals ohne die Blauhelme der anderen hätte ausgeliefert werden können, müßte im Notfall die Soldaten, die unter der UNO-Verpflichtung da sind, schützen.
Bei dem Schutz der Arbeit der Blauhelme und der Absicherung von Hilfsgütern bin ich nicht sicher, ob der „Tornado“ das richtige Instrument ist, halte aber dies für ein eher technisches Problem. Müssen wir die Frage nach der militärischen Absicherung nicht auch an die humanitäre Hilfe von außen stellen? Andersherum gefragt, darf die Waffe des Aushungerns ungestraft angewandt werden? Auch wer mit der Waffe in der Hand Nahrungsmitteltransporte nach Bihać verhindert, bricht das Waffenstillstandsabkommen. Denn sonst bleiben die Menschen Geiseln des Einkesselers, auch wenn kein einziger Schuß fällt. Und welche Macht sanktioniert diese mit Waffengewalt vollzogene Menschenquälerei?
Serbien hat von Anfang an Deutschland als Gegner dargestellt. Wir waren immer ein Argument für seinen Expansionswillen, unabhängig von unserer Politik. Der Rekurs auf den Zweiten Weltkrieg spielte ebenso eine Rolle wie der auf die türkische Herrschaft. Mit beiden hat sich der neue serbische expansive Nationalismus der Intellektuellen begründet. Gott sei Dank gibt es in Serbien inzwischen eine selbstkritische Diskussion darüber. Aber auch wenn die Deutschen nicht an Unprofor beteiligt sind: Aus serbischer Sicht dient die deutsche Vergangenheit als Agitationsinstrument, was immer wir auch tun oder unterlassen.
Meine Frage ist daher: Können und dürfen die Deutschen sich zurückhalten, wenn Verbrechen begangen werden, die durchaus in der Tradition der deutschen Verbrechen zu sehen sind: Vernichtung und Vertreibung einer ganzen Religionsgruppe. Mit all den grausamen Begleitumständen, der Vermögens„arisierung“, der Einrichtung von Lagern. Du weißt, Peter Glotz und ich haben zu diesem Punkt unterschiedliche Meinungen, aber auch Glotz kommt zu dem Schluß: „Wer der Ausrottung eines anderen Volkes tatenlos zusieht, verwirkt seine Rechte.“
Alles Gute Dein Freimut Duve
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