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Bremser bei EU-KlimapolitikPolen ohne Kohle verloren

Die EU-Pläne für die Versteigerung der CO2-Emissionszertifikate gehen dem von der Kohle abhängigen Polen zu schnell. Es fordert einen Stufenplan bis 2020. Mitstreiter gibt es auch.

Zumindest in Oberschlesien fährt noch so mancher Kumpel in die Grube. Bild: dpa

WARSCHAU taz "Polen kann sich die Klimapolitik Brüssels nicht leisten", sagt Polens Vize-Umweltminister Bernard Blaszczyk. "Fast unsere gesamte Energiewirtschaft beruht auf der Kohle." Sollte das Land ab 2013 die Rechte für den gesamten Kohlendioxid-Ausstoß ersteigern müssen, würden die Preise für Strom und Fernwärme so stark ansteigen, dass ärmere Menschen in Polen wieder mit dem Kohleofen heizen würden. "Der Effekt wäre: mehr CO2-Ausstoß statt weniger!" Die Konsequenz: Polen will die Vorgaben für den CO2-Emissionshandel in der EU kippen. Und die Chancen stehen nach Einschätzung von polnischen Politikern nicht schlecht.

Denn andere EU-Neumitglieder wie Tschechien, Slowenien, die Slowakei und Ungarn haben bereits Unterstützung signalisiert, aber auch die baltischen Republiken, Griechenland sowie Rumänien und Bulgarien. Selbst Abgeordnete aus Deutschland, das zu den größten CO2-Emittenten in der EU gehört, stimmten unlängst im Europäischen Parlament für den Vorschlag.

"Wir unterstützen die Klimapolitik der EU und wollen den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase verringern", leitet Blaszczyk sein großes Aber ein. "Aber die Politik muss die Realität in den jeweiligen Mitgliedsländern berücksichtigen, sonst erreichen wir das Gegenteil dessen, was wir wollen."

Der polnische Vorschlag sieht eine stufenweise Einführung des freien Handels mit Verschmutzungsrechten oder CO2-Zertifikaten vor. Zur Zeit erhalten rund 12.000 Fabriken und Kraftwerke in der EU eine individuell zubemessene Menge an CO2-Zertifikaten, die pro Zertifikat zum Ausstoß von je einer Tonne Kohlendioxid berechtigt. Schafft es ein Unternehmen, unter der bisherigen Co2-Menge zu bleiben, kann es die überzähligen Zertifikate an einer Energiebörse verkaufen. Das ist für viele Unternehmen ein gutes Geschäft, da die ausgeteilten Zertifikate kostenlos sind, die überzähligen an der Energiebörse aber gutes Geld bringen. Es lohnt sich also, den CO2-Ausstoß zu verringern.

Ab 2013, wenn die zweite Verpflichtungsphase aus dem Kioto-Umweltschutzabkommen beginnt, sollen die CO2-Zertifikate nicht mehr kostenlos sein. Vielmehr sollen Kraftwerke und CO2-ausstoßende Fabriken die Verschmutzungsrechte zu 100 Prozent an einer Energiebörse ersteigern.

Polen, das wie andere Länder einen Preisanstieg von 30 Prozent und mehr für Strom und Fernwärme fürchtet, schlägt einen Stufenplan vor: Statt 2013 von null auf hundert zu springen, wie es die EU-Kommission vorschlägt, sollen zunächst 80 Prozent der Zertifikate kostenlos bleiben, im Jahr darauf noch 70 Prozent. Erst 2020 sollen alle Zertifikate über die Börse ersteigert werden müssen.

Den Streit über den "sauberen und billigen Strom" nutzt auch Polens Atomlobby für sich und preist schon seit Wochen die angeblich so zukunftsträchtige Atomenergie an. Zwar reicht die Kohle in Polen noch für rund 300 Jahre, doch warnen selbst seriöse Zeitungen wie die Gazeta Wyborcza vor dem vermeintlich in wenigen Jahren drohenden Stromloch.

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4 Kommentare

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  • BW
    bernhard wagner

    Hei Bark Wind: Danke für die 'Ehre', aber diese Idee (1 Windrad im Durchschnitt je km Auotbahn u. sonstiger breiter Straße ...) ist - ausnahmsweise ;`) - nicht von mir. Ich hab das schon irgendwo anders gelesen.

     

    In Deinem ersten Satz sollte vielleicht noch so etwas wie "vor ein paar Jahrzehnten" ergänzt werden, vermute ich - das hast Du evtl. gedacht, aber nicht hingeschrieben ;`)

  • BW
    Bark Wind

    j@, OBC, Polen ist im ökol. Bewusstsein wohl ungefähr auf dem Stand, auf dem "wir im Westen" mit Ausnahme kleiner, oft lächerlich gemachter, Minderheiten auch waren. Und erzkonservative Variante von Katholizismus kombiniert mit Pseudosozialismus ist sicher auch nicht sehr bewusstseins-innovativ ... (ich vermute sogar, dass die "orthodoxe" u. "katholische" Mentalität der Vergangenheit (mindestens 1000 Jahre) eine sehr wichtige Ursache für das Scheitern des Sozialismus dort war. Autokratismus u. Hierarchien als Muster so sehr verinnerlicht zu haben ... Aber ich habe auch schon Polinnen u. Polen getroffen, die hoffen lassen. Leider sind die Medien dort meistens auf Axel-Springer-Verlags-Niveau, aber auch das muss nicht so bleiben.

     

    h@llo bernhard w.: Die Idee mit den Anlagen entlang der Straßen ist gut, denn das erleichtert die Aufstellung, weil die Zufahrtswege dann schon weitgehend vorhanden sind. Wenn die Räder mit neuer Magnetresonanztechnik laufen, sind auch geringere Windkräfte schon effektiv nutzbar. Daher lohnt sich Windkraft nicht nur an der Küste vor Dänemark u.s.w.

  • O
    OBC

    Ich verstehe die Aufregung nicht. In Polen wird doch noch in über 80% aller Haushalte mit Kohle geheizt. Und wo das Geld knapp ist werden auch andere Materialien verfeuert. Fahren Sie einmal quer durch Polen und Sie stellen fest, dass es fast überall brennt, wo es Anzeichen von Zivilisation gibt. Felder abbrennen gehört beispielsweise genau so selbstverständlich zum polnischen Landschaftsbild im Herbst, wie die Rauchschleier über und in Dörfern und Städten! Nicht nur die Schwerindustrie sondern auch der Mittelstand und Kleinstbetriebe verschmutzen die Luft. Auf den Straßenverkehr gehe ich nur in sofern ein, dass wahrscheinlich 75% aller Vehikel in Deutschland aufgrund der Schadstoffemissionen nicht zugelassen werden würden. Ich wohne seit fünf Jahren in diesem Land und kann nur sagen, das der Umgang mit der Umwelt erschreckend ist - und das ist nicht das Problem armer Leute!!!!

  • BW
    bernhard wagner

    Polen hat es echt wieder einmal nicht leicht. Diesmal zwar nicht aufgeteilt von Großmächten, aber in der Energiefalle gelandet und darin in ungünstigerer Position als einige andere Länder, z.B. weil seine Küste - verglichen v.a mit Dänemark, Niederlanden, Belgien oder Wales und Schottland - relativ wenig Wind hat (darin vergleichbar mit Deutschland).

     

    Klug wäre es, wenn - ggf. auch als Entwicklungshilfe (zugleich als Beitrag im Kampf gg. Klimaerwärmung) gefördert - Polen ein großes Programm der Gebäudesanierung startet, in Richtung Nullenergiebauweise, die bekanntlich heute sogar in nördlicheren Regionen möglich ist (mit Solaranlagen, Wärmetauschern, guter Isolierung).

     

    Außerdem könnte an jeder Autobahn u. größeren Straße nach jedem km (in etwa 100 m Abstand zur Fahrbahn) ein mind. 80 m hohes Windrad errichtet werden - auch wenn Polen dafür nicht der bestmögliche Standort ist, wäre es sicherer als Atomenergie und selbst ohne GAU wäre es angesichts der Kosten, 1 Mio Jahre Müll "sicher zu lagern" sogar sehr viel billiger. Landwirte/innen könnten für den entsprechenden Flächenverlust entschädigt werden (für die Windräder, die nicht auf staatlichem Boden stehen).