Bremerhavens Umgang mit Schrottimmobilien: Einstürzende Altbauten

Bremerhaven geht gegen die Verwahrlosung ganzer Straßenzüge vor. Weil die Eigentümer nicht wirksam verpflichtet werden können, ihre Häuser in Schuss zu halten, springt die Stadt ein.

Wenn ganze Straßenzüge verwahrlosen: Schrottimmobilien in Bremerhaven. Bild: Lena Kaiser

BREMERHAVEN taz | Auf den ersten Blick macht das viergeschossige Mehrfamilienhaus noch einen recht passablen Eindruck. Doch durch ein Loch sieht man bis in den Hof des Gebäudekomplexes aus der Jahrhundertwende.

Hier sind zwei Bagger dabei, die beiden Hinterhäuser abzureißen. Als letzter Hinweis auf die einstiegen Bewohner dekoriert ein Werder Bremen-Fensterbild die kaputten Scheiben. Mitte April stürzte eine fünf Meter hohe Wand ein und verschüttete den benachbarten Garten.

Mit dem Abriss des Gebäudeensembles im innenstadtnahen Gründerzeitviertel Lehe soll Platz geschaffen werden für Neues. Hier plant das größte Bremer Wohnungsunternehmen Gewoba den ersten Neubau seit 20 Jahren in der Seestadt.

Seit mehreren Jahren waren die vier Häuser unbewohnt und boten zuletzt Drogenabhängigen Zuflucht. Als der stadtbekannte Eigentümer sogenannter Schrottimmobilien versuchte, die Häuser auf Mallorca zu verkaufen, schaltete sich die Stadt ein und sicherte sich das Vorkaufsrecht.

"Schrottimmobilien" sind verwahrloste Gebäude, um die sich niemand kümmert. Betroffen sind vor allem Altbauten in zentraler Lage. Schimmel und die marode Substanz machen die Häuser unbewohnbar, aber nicht immer sind sie abrissreif.

Die Arbeitslosenquote liegt bei 17,4 Prozent (Stand März 2011).

Leer stehen 8 Prozent der Wohnungen, im Stadtteil Lehe sind es sogar 12 Prozent - bei einer durchschnittlichen Kaltmiete von drei Euro pro Quadratmeter.

Für 16 verwahrloste Immobilien hat die Stadt in den letzten 18 Monaten ein Vorkaufsrecht geltend gemacht. Zehn Häuser hat sie bereits erworben.

Rund 500.000 Euro hat Bremerhaven für Kauf, Abriss und Modernisierung von Schrottimmobilien investiert, ein Drittel davon trägt der Bund.

Für die dauerhafte Entwicklung städtischer Problembereiche hat Bremerhaven durch das URBAN II-Programm rund 20 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) bekommen.

Das Flaggschiffprojekt von URBAN-II ist die Entwicklung des Technologieparks "Timeport", der technologieintensive Unternehmen anziehen soll.

Mit einer städtebaulichen Intervention versucht Bremerhaven dem Verfall ganzer Straßenzüge entgegenzuwirken. Weil es die Gesetzeslage nicht zulässt, die Eigentümer zur Instandhaltung zu verpflichten, kauft die Stadt die Häuser, um sie abzureißen oder zu modernisieren. "Das Problem ist, dass die Stadt erst dann in den Prozess eingreift, wenn vieles schon geschehen ist", sagt Norbert Friedrich vom Bremerhavener Stadtplanungsamt.

Nicht selten übernimmt die Stadt die mittlerweile wertlosen Gebäude für null Euro. Nicht etwa durch Enteignung, sondern durch ein aufwändiges Verfahren über ein Vorkaufsortgesetz, das die Stadtverordnetenversammlung im Juni 2009 beschlossen hat.

Damit sicherte sie sich für 16 vom Bauordnungsamt ausgewählte Häuser, bei denen aus bauordnungsrechtlicher und städtebaulicher Sicht dringender Handlungsbedarf besteht, das Vorkaufsrecht. Jeder Abriss kostet die Stadt rund 70.000 Euro, ein Drittel trägt der Bund.

Modernisierungen sind dagegen deutlich teurer. In einem Fall investiert das städtische Wohnungsbauunternehmen Stäwog 500.000 Euro, weil das Eckhaus erhalten bleiben muss, um die benachbarten Gebäude nicht zu gefährden.

Seit der Werftenkrise, der Fischereikrise und dem Abzug der US-Besatzung haben viele Bremerhavener ihre Arbeit verloren. Bis zu 2.000 Einwohner haben die Stadt jährlich verlassen.

Erst in den letzten Jahren ist die Abwanderung auf wenige Hundert zurückgegangen. Um den Leerstand zu verringern, hat die Stadt bereits viele Sozialwohnungen im nördlich gelegenen Leherheide und in der 1950er Jahre-Großwohnsiedlung Grünhöfe abgerissen. Heute stehen bei 112.000 Einwohnern rund 5.500 Wohnungen leer.

Dass es vor allem den Altbauten an den Kragen geht, ist aus städtebaulicher Sicht besonders problematisch. Ihr Abriss ist das letzte Mittel, um eine um sich greifende Verwahrlosung ganzer Straßen und Viertel in den Griff zu bekommen.

"Wenn in einzelnen Straßen bis zu 25 Prozent der Wohnungen leer stehen, wirkt sich das auch sehr nachteilig auf die Investitionstätigkeit und die Vermietbarkeit der anderen Wohnungen aus", sagt der Bremerhavener Stadtplaner Friedrich.

Der Wohnungsmarktexperte Jan Kuhnert fordert seit längerem, die Eigentümer stärker in die Pflicht zu nehmen. "Das Modernisierungsgebot, bei dem die Gemeinde die Behebung von Mängeln durch den Eigentümer anordnet, ist ein zahnloser Tiger", sagt Kuhnert, der die städtische Wohnungsgesellschaft Hannover leitet. In Wilhelmshaven arbeitet er mit der Stadt daran, in einem Gründerzeitgebiet mit erheblichem Leerstand einen Aufwertungsprozess in Gang zu bringen.

Selbst wenn vergammelte und heruntergekommene Gebäude ein Sicherheitsrisiko darstellten, können Eigentümer nicht gezwungen werden, ihre Häuser in Ordnung zu bringen, sagt Kuhnert. Tatsächlich gebe es Eigentümer, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügten. In anderen Fällen habe das Leerstehenlassen aber auch strategische Gründe.

So lässt sich auch in Bremerhaven mit "Schrottimmobilien" immer noch Geld verdienen. Billig erworbene Objekte werden für ein Vielfaches weiterverkauft - nicht selten an Ortsfremde zu völlig überhöhten Preisen und unter Vorspielung falscher Tatsachen.

In einem Fall ging eine britische Käuferin im Internet Anbietern auf den Leim, die auf einem Foto die Fassade eines Mehrfamilienhauses geschönt und einen Porsche vor dem Haus geparkt hatten.

Um den Wiederverkaufswert zu erhöhen, greifen manche Eigentümer zu kosmetischen Modernisierungsmaßnahmen, durch die die Häuser ruiniert werden. Beim stadtbekannten "Schiefhausen"-Komplex etwa, hatte ein Spekulant die Wohnungen, um die Feuchtigkeitsschäden zu kaschieren, mit sichtbaren Rigipsplatten verkleidet, hinter denen sich gesundheitsgefährdende Teerplatten versteckten.

Damit künftig nicht mehr die öffentliche Hand die Abbruchkosten zahlen muss, sondern die Eigentümer, die die Häuser haben verwahrlosen lassen, erhofft sich die Stadt Bremerhaven eine entsprechende Änderung des Bundesbaugesetzes. Die geplante Novelle soll die Entwicklung innerörtlicher Flächen stärken und auch Innenstädte wieder attraktiver machen. Ob das Bremerhavener Anliegen berücksichtigt wird, ist aber noch nicht klar.

Das Problem könnte künftig weitere Kreise ziehen. Nicht nur handlungsunfähige Einzeleigentümer lassen ihre Häuser verkommen, sondern auch Wohnungsunternehmen, die von Finanzfonds getragen würden, sagt Wohnungsmarktexperte Kuhnert.

Wenn solche Großeigentümer Konkurs gingen, weil sie wegen zu hoher Finanzierungsrisiken keine Refinanzierung ihrer Kredite bekämen, könne es auch anderen Kommunen so gehen wie Bremen: Der Stadtstaat musste in Bremen Tenever auf einmal eine ganze Siedlung übernehmen.

Weil besonders kleinere Gemeinden damit überfordert seien, bräuchte es in diesem Fall einen Rettungsschirm des Bundes für sogenannte Restbestände, die dann an die Kommune übergeben würden.

Das aktuelle Sanierungsrecht schreibt vor, dass die öffentliche Hand nach Abriss, Neubau oder Modernisierung die von ihr übernommenen Immobilien wieder verkaufen muss. Bremerhaven hofft, damit die private Investitionstätigkeit anzukurbeln. Wohnungsmarktexperte Kuhnert ist da jedoch skeptisch: Da sich in strukturschwachen Regionen private Investitionen in günstige Wohnungen nicht lohnen, sieht er die kommunalen Wohnungsunternehmen in der Pflicht.

Kuhnert fordert, die Wohnungsbauförderung des Bundes zu reaktivieren. Denn die ist unter der rot-grünen Bundesregierung weitgehend eingestellt worden.

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