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Bremer Sanierungsprogramm - in dritten Jahr schon illusionär?

■ Eine ernüchternde Studie der Arbeiterkammer zum Sanierungs-Programm

Es gibt in der bremischen Politik derzeit keine „Klassen“ mehr, keine spezifischen Gewerkschafts-Positionen und Staats-Interessen, es gibt nur noch „Bremer“. Die Finanzkrise zwingt denen, die sich mit der Lage des Stadtstaates befassen, eine erstaunlich einheitliche Logik auf. Dies zeigt das jüngste Gutachten der Arbeiterkammer zur aktuellen Lage der Sanierung und des Sanierungsprogramms im 3. Jahr: Die 60seitige Arbeit, wesentlich von der Finanz-Expertin der Arbeiterkammer, Angelina Sörgel, formuliert, geht schlicht von den Zahlen und Fakten aus, die das Finanzressort zur Verfügung stellt, interpretiert sich nur teilweise anders, kommt aber zu denselben Schlußfolgerungen: „Wirtschaftskraft stärken“, „Bremens Rolle als Oberzentrum stärken“, das sind die obersten Ziele. Dazu dient das Investitions-Sonder-Programm, finanziert über eine weitere Staatsverschuldung und über Vermögensveräußerungen. „Allen Versuchen, hiervon Abstand zu nehmen rsp. stärker zu entschulden, um über diesen Weg mittelfristig Geld für konsumtive Ausgaben zur Verfügung zu haben, muß man ... eine deutliche Absage erteilen.“ Die Arbeitkammer steht damit fest auf der Seite des CDU-Finanzsenators – „mit Blick auf den Arbeitsmarkt“.

Wie das erreicht werden soll, da weiß die Arbeiterkammer auch nur allgemeinen Rat und kann kaum mit originellen praktischen Vorschlägen aufwarten. Und weil die ganze Analyse die Skepsis gegenüber den Erfolg der Sonder-Investitionen belegt, insistiert die Kammer sehr darauf, daß aus Bremen wieder die Debatte über die Lohnsteuerzerlegung angezettelt werden soll – mehr Geld im Länderfinanzausgleich soll Bremen bekommen, die oberzentralen Städte sollen mehr Ausgleich erhalten für diejenigen, die im Umland ihre Steuern abliefern, ohne das scheint es keine Perspekt.

Das Finanzressort hat einmal ausgerechnet, was passieren müßte, wenn die Steuerkraft Bremens wirklich stärker als der Bundesdurchschnitt wachsen soll: 3,5 Prozent reales Wachstum über Jahre, 50.000 neue Arbeitsplätze, 60.000 zusätzliche EinwohnerInnen bis zum Jahre 2007, 840 Hektar Fläche müßten dafür zugebaut werden.

Das ist in der Tat illusorisch, stellt die Kammer fest. Zwischen 1980 und 1995 lag das reale Wachstum in Bremen durchschnittlch gerade einmal bei 1,5 Prozent, es sind dabei 15.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, das Land verlor 36.000 Einwohner. Für einen radiken Trendwechsel gibt es keine Voraussetzung: Immer noch sind Bremens führende Industrien gleichzeitig Krisen-Branchen: Schiffbau, Auto, Stahl, Rüstungselektronik. Klöckner, Vulkan, Dasa, Airbus... Der Dienstleistungsbereich ist nach wie vor unterentwickelt. Bremen hat seinen Rückstand aus den frühen 80er Jahren bisher nicht aufgeholt. Zudem: Wachstum bedeutet heute keineswegs automatisch mehr Arbeitsplätze. „In Bemen läuft die Entwicklung bekanntlich noch viel ungünstiger“, stellt die Arbeiterkammer fest: „Seit Jahren bildet es betreffs Arbeitslosigkeit die Spitze unter den westlichen Bundesländern.“ Seit 1992 stieg die Arbeitslosigkeit trotz eines geringfügigen Wirtschaftswachstums.

Das Schaffen von Arbeitsplätzen, auch das belegen die Zahlen des Finanzressorts für die Kammer, trägt dabei zur Sanierung der Staatsfinanzen nur wenig bei. Ein zusätzlicher Kopf, der in der Einwohner-Bilanz zählt, „bringt“ sechs mal soviel Geld in die Staatskasse wie ein Arbeitsplatz. Bremens Einwohner-Verluste aber waren unabhängig vom der Wirtschaftslage, stellen die Fachleute der Arbeiterkammer fest: die gut verdienenden Leute ziehen vor die Landesgrenze, weil ihre Lebensqualität dort besser ist. Die Bevölkerung Bremens wird zudem wegen der Überalterung (und damit abnehmender Geburten-Zahlen) bis 2007 um 40.000 Köpfe sinken, ein größerer Zustrom wäre nur duch ausländische Mitbürger zu erwarten. Um unter dem Strich 60.000 neue Bremer Staatsbürger verzeichnen zu können, müßten 100.000 bis zum Jahre 2007 nach Bremen ziehen – schlicht unrealistisch diese Annahme, findet die Arbeiterkammer-Studie.

Gleichzeiig kann Bremen durch seinen Wohnungsbau die Abwanderung anspruchsvoller Steuerzahler kaum stoppen: Die beiden größten aktuellen Wohnungsbauvorhaben, Arsten-Südwest und Borgfeld-West, können nur die Abwanderer zweier Jahre aufnehmen. Die Investitionsprogramme, die mehr Produktion und damit mehr Verkehr nach Bremen ziehen sollen, dürften dabei gleichzeitig die Motive der Umland-Wanderung verstärken. Beispiel: Neustadt. Wenn neue Arbeitsplätze größere Zahlen von Menschen nach Bremen locken, dann könnte durchaus das Umland davon mehr profitieren als Bremen, folgert die Studie.

Fazit: Bremen wird, wie der Finanzsenator erklärt hat, in den verbleibenden drei Jahren des Sanierungsprogramms seine Schuldenberg kaum reduzieren, sondern zugunsten des Investitionsprogramms eher noch erhöhen. Selbst wenn diese Investitonen zu relevant höherer Wirtschaftskraft verhelfen sollten (was bei Wissenschafts-Investitionen, Straßen- und Straßenbahnbau eher unwahrscheinlich ist), dann würde daraus keineswegs eine nennenswerte Erhöhung der Steuerkraft folgen, stellt die Arbeiterkammer-Studie fest.

„Das eigentliche Ziel der Sanierung der Landesfinanzen von Bremen ist aber der Erhalt der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des Stadtstaates, was, wie aus den vorhergehenden Ausführungen hervorgeht, alles andere als selbstverständlich ist...“, folgert die Studie diplomatisch, und beißt sich fest auf die Zunge: „Es ist nicht in unserem Sinn, aus all diesen Überlegungen den Schluß zu ziehen, die Sanierung der Landesfinanzen –an sich– sei unmöglich und der Erhalt des Stadtstaates ein illusionäres Ziel.“ K.W.

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