Bremer Klänge: DröhnendeLandschaften
Die Genres Ambient und Drone-Musik sind schon deswegen so erholsam und auch wichtig, weil sie so bedeutungsoffen sind. In den meisten Fällen dröhnt es zwar vorhersehbar verhängnisvoll, aber man wird hier nicht von einem aufgekratzten Sängersubjekt mit unausgegorenen Auffassungen vollgelallt. Atmosphäre vor Bedeutung, und was man sich dann zum Klangbild zusammenassoziiert, hängt primär von der eigenen Verfasstheit ab. Nur in den seltensten Fällen geht es um die Zerwürfnisse zwischen Welt und Künstlerseele, stattdessen sind wichtig: Sounddesign und Konstruktion von Klangflächen, mit denen man als Hörer selbst was anfangen muss. So soll es sein.
Auf der Debüt-LP des Bremer Ein-Mann-Projekts Kalmen Rossbreiten, die kürzlich auf „stereo-dasein“, dem Label des Künstlers Elias Lichtblick erschienen ist, gibt es einige Hinweise, worum es dieser Musik gehen könnte. Die Titel der zwei über zehnminütigen Tracks deuten an, woran der Künstler sich abarbeitet. Der erste heißt „Provenienz“, der zweite „Provinz“. Wobei letztere, so viel Diskurslast darf es schon sein, im Beiblatt mittels Frank-Witzel-Zitat nicht als Ort, sondern als spezifisch kindlicher Zustand gedeutet wird: „weil man sich als Kind eben nur in einem ganz beschränkten Umfeld bewegt“.
Das klingt bedeutungsoffen. Und statisch, obwohl immer was los ist. Mal eben googeln: Kalmen sind windstille Gebiete in Äquatornähe. Rossbreiten bezeichnen ebenfalls windlose Zonen. Passt. Der erste Track beginnt mit genretypischem Grollen, dann beginnt ein disparater Echo-Effekt zu oszillieren und hört nicht mehr auf. Darüber legt sich der Welt abhandengekommenes Gitarrengeplänkel. „Provinz“ beginnt mit einer schwachbrüstigen Analog-Synthesizer-Melodie, dazu Windrauschen. Und dann wird reichlich draufgeschichtet, unter anderem etwas, das wie verfremdete Herztöne klingt. Musik für Isolationstanks.
Der Überbau, wenn schon nicht die Soundästhetik selbst, deuten eine Wahlverwandschaft zu den Künstlern an, die vor allem in England unter dem Stichwort „Hauntology“ diskutiert werden – auch wenn das, woran die Musik von Kalmen Rossbreiten sich, wenn man so will, erinnert, nicht die Frühzeit der digitalen Ära ist. Die Klänge gemahnen an die analoge Welt der alten Bundesrepublik. Die Geister von früher kommen zurück, weil die Versprechen der Vergangenheit nicht eingelöst worden sind. Soweit das, was mir beim Hören in der Sache angemessener Lautstärke in den Kopf gekommen ist. Kann man nicht verallgemeinern. Aber genau das ist ja, unter anderem, das Schöne. Benjamin Moldenhauer
stereodasein.tictail.com
soundcloud.com/kalmen-rossbreiten
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