Bremer Fall Kevin: Staatsanwalt fordert 13 Jahre Haft
Wann Kevin starb, hat auch der Bremer Prozess gegen dessen drogenabhängigen Ziehvater Bernd K. nicht klären können. Doch der Staatsanwalt plädiert auf Mord.
"In diesem Zeitraum, zwischen dem 20. April und spätestens August 2006, brachte der Angeklagte das Kind um", so fasst der Staatsanwalt die Erkenntnisse aus sieben Monaten Prozess zusammen. Der Satz hat eine unerwartete Wucht. Denn so deutlich, wie Staatsanwalt Daniel Heinke in seinem gestrigen Plädoyer, hatte es zuvor noch niemand gesagt. Nicht im Gerichtsverfahren, nicht im längst abgeschlossenen Untersuchungsausschuss.
Den hatte die Bremische Bürgerschaft einberufen, weil sogar der Bürgermeister wusste, dass das Kleinkind Kevin bei seinem drogenabhängigen Ziehvater Bernd K. unter denkbar ungünstigen Verhältnissen aufwuchs.
Auf höchster Regierungsebene Alarm geschlagen hatte der Leiter eines Kinderheims, nachdem er erfolglos an den für Kevin zuständigen Jugendamtsmitarbeiter appelliert hatte, Kevin nicht wieder in die Obhut des Ziehvaters zu geben. Das Kind sei unterversorgt und entwicklungsverzögert, hatte der Heimleiter gewarnt, der Ziehvater offenbar überfordert mit der Betreuung des Kindes, dessen ebenfalls drogenabhängige Mutter noch vor seinem zweiten Geburtstag unter nicht geklärten Umständen gestorben war.
Doch der Mann vom Jugendamt hatte schon ganz andere Hinweise ignoriert, auf Misshandlungen, Drogen- und Alkoholmissbrauch. Auch seine über den Fall informierten Vorgesetzten sowie Kevins Amtsvormund hielten es nicht für nötig, sofort zu handeln und Kevin von seinem Ziehvater zu trennen. Stattdessen verschrieb das Jugendamt ein paar Stunden bei einer Tagesmutter, Krankengymnastik und Sprachförderung.
Dass niemand Kevin nach dem 20. April 2006, an dem sich mehrere Sozialarbeiter mit Bernd K. getroffen hatten, mehr zu sehen bekommen hatte und dieser immer neue Ausreden hervorbrachte, warum er Kevin nicht vorzeigen konnte, führte erst ein halbes Jahr später zu Konsequenzen. Am 10. Oktober 2006 fanden Polizisten die Leiche des Kindes im Kühlschrank des Ziehvaters, in Decken und einen Müllsack eingewickelt.
Mit wie vielen Monaten Kevin, der am 23. Januar 2004 geboren wurde, starb, weiß nur derjenige, der ihn mutmaßlich getötet hat. Doch der angeklagte Bernd K. schwieg den ganzen Prozess über, sagte nichts zu den 24 Knochenbrüchen, die Rechtsmediziner festgestellt hatten, und von denen einer zum Tod Kevins geführt haben soll. Der linke Oberschenkelknochen war durchgebrochen, dabei ausgetretenes Knochenmark soll in den Blutkreislauf gelangt sein und einen Herzstillstand ausgelöst haben.
Kurz nach seiner Festnahme hatte Bernd K. zu Polizisten gesagt, es sei "ein Unfall" gewesen, aber das würde ihm ja doch niemand glauben. Zumindest der Staatsanwalt hielt dies für unwahrscheinlich. Selbst wenn er nicht geplant habe, Kevin zu töten - schließlich habe er sich phasenweise "liebevoll und fürsorglich um ihn gekümmert" -, müsse er gezielt den Oberschenkel verletzt haben, der vermutlich nach Überdehnen gebrochen sei. "Wie ein Ast", so Heinke. Nach Aussage der Gerichtsmediziner müssen die Schmerzen so groß gewesen sein, dass Kevin ohnmächtig wurde oder schrie, jedenfalls hätte Bernd K. ihn in ein Krankenhaus bringen müssen. Ihn so leiden zu lassen, sei "grausam", argumentierte der Staatsanwalt, die Tat deshalb als Mord zu werten. Lebenslang hinter Gitter solle er gleichwohl nicht. Dagegen spreche, dass er möglicherweise wegen seiner mehrfachen Drogen- und Alkoholabhängigkeit eingeschränkt steuerungsfähig gewesen sei. 13 Jahre Freiheitsstrafe, so die Forderung von Staatsanwalt Heinke, soll Bernd K. bekommen. Einen Teil der Haftstrafe solle der 43-Jährige in einer Entziehungsanstalt verbringen.
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