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Bremer Architek-Tour

■ Design-Zentrum bietet auf traditioneller Route Stadtführung der besonderen Art an

Bremer Architek-Tour

Design-Zentrum bietet auf traditioneller Route Stadtführung der besonderen Art an

Mit Lüder von Bentheim fängt alles an. Dieser „Querkopp“ von Baumeister hatte die Nase voll von zeitgenössischer Gotik und verpaßte dem Rathaus 1410 eine neue Fassade im brandaktuellen Renaissance-Stil. Sehr zum Unwillen der konservativen Stadtherren. Heute gilt Bremens Rathaus als „schönster Renaissance-Bau Norddeutschlands“.

Es ist Donnerstag, zehn Uhr morgens. Modedesignerin Katharina Kröning kommt jetzt voll in Fahrt. Bremer Häuser und Fassaden haben es ihr angetan. Es ist bereits das vierte Mal, daß sie zusammen mit dem Journalisten Nils Aschenbeck vom Marktplatz aus und auf Geheiß des Design Zentrums Bremen zur Stadtführung der etwas anderen Art lädt. Kein Programm für Fußfaule: Drei lange Stunden geht es per pedes durch die Stadt auf den Spuren berühmter Architekten und Designer.

Ursprünglich als Sightseeing- Tour für Besucher der Inoventa Design Messe geplant, hat sich der „Versuchsballon“ (Kröning) als Bremer Sommerhit entpuppt. Alle Führungen sind restlos ausgebucht, statt der aviesierten 20 laufen heute 27 Leute mit.. Den run auf die Fußtour hat inzwischen auch der Verkehrsverein spitz gekriegt und will das Angebot eventuell übernehmen.

Ein kurzer Blick auf das benachbarte Parlamentsgebäude: Ein moderner Flachdachbau der 60er Jahre, der zeigt, daß Neues nicht gleich schön sein muß, und schon stehen wir in der Böttcherstraße. Hier kann man das Wirken von Bernard Hoetger bestaunen. Oder besser gesagt, das, was nach dem Krieg davon übrig blieb: das Paula Moderson Haus und das Haus Atlantis. Der betuchte Kaufmann Roselius beauf

hier bitte das Architekturfoto

Der andere BlickFoto: Jörg Oberheide

tragte den wohl bekanntesten Bremer Architekten Anfang der 30er Jahre, die gesamte Straße abzureißen, um Häuser im alten Stil wieder neu aufzubauen.

„Heimatschutz“ nannte sich dieser Baustil militant. Dessen Verfechter wandten sich gegen den Pomp der Gründerzeit-Architektur und strebten nach einer „neuen Ländlichkeit“. 1936 wurde die von Hoetger neu erbaute Straße von den Nazis als „entartet“ eingestuft, und Hitler sprach bei einem Bremenbesuch davon, daß er „keine Böttcher

straßen mehr bauen“ wolle. Roselius erkannte die Gefahr und handelte schnell. Bald thronte der goldene Schwertträger über der Eingangspforte, der dem Kunstpathos der Nazis eher entsprach als die ursprünglich expressionistische Ziegelgestaltung. Das konnte dem „Führer“ wohl gefallen,

1937 wurde die Straße gar unter Denkmalschutz gestellt. Von „Deutschtum“ aber spürt man im Haus Atlantis nicht viel. Im ehemaligen „Institut für Leistungsprüfung“ steckt „viel amerikanischer und anthroposophischer Einfluß“: Art Deko hängt und steht in allen Ecken, eine frei schwebende Wendeltreppe führt hinauf in den Himmelsaal mit seinen atemberaubenden Lichtspielen. „Unverständlich“ nur findet Aschenbeck, daß der Besitzer die „faszinierende Stahlfassade“ im Stil der drögen 60er zumauern ließ.

Über die Martinistraße, deren Randbebauung nach Meinung Aschenbecks „eine der schlechtesten Planungen der Nachkriegszeit“ war, geht es im Gänsemarsch die Weser entlang. Weitere Stationen: die Wallanlagen, die im 18.Jahrhundert noch zum Wäschetrocknen genutzt wurden; der Torbau, der in den 40er Jahren als Gefängnis diente; die Villa Ichon. Dort traf sich einst die Bremer Kulturschickeria, nachdem Theaterdirektor Wiegand 1927 den kunstvoll mit Marmor und Parkettboden ausgelegten Prachtbau bezogen hatte. Aber nicht nur Künstler, auch politisch und rassisch Verfolgte fanden hier Aufnahme.

Am Ende der Tour steht das Finanzamt, und es steht ganz im Zeichen des Schafes: Außen wie innen ist man umringt von Hirten-und Schafsfiguren. Denn bevor die Nazis es 1934 zum Sitz der Steuer und Finanzen machten, war es das Verwaltungsgebäude der „Norddeutschen Woll- und Kammgarnspinnerei“ (im Volksmund:Nordwolle) der Brüder Lahusen. Die hatten nicht nur Landbesitz in Südamerika „so groß wie Schleswig Holstein“, woher die Wolle kam, sondern auch einen ausgeprägten Hang zum Luxus, wie die „Herrschaftsarchitektur“ des Hauses eingebettet in Gold und Marmor zeigt. 1931 mußten sie Konkurs anmelden und wanderten zudem noch wegen Steuerbetrug hinter Gitter. Gisa Funck

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