: Bremen für Sozialforschung attraktiv
■ Zwei neue Uni-Institute wollen soziale Zusammenhänge der High-Tech-Welt erforschen / Beteiligung von Claus Offe fast sicher / Senat und Uni mit kongenialem Finanzierungstrick / Zugriff auf Verwaltungsdaten
350 Mio Mark werden zur Zeit an der Bremer Universität verbaut. Mikroelektronik, Weltraum-, Meeres- und Genforschung werden den Löwenanteil der neuen Räume füllen. Doch zwei neue Forschungsinstitute zeigen auch, daß der Bremer Reform-Uni der Gründungs-Geist noch nicht völlig ausgetrieben ist: Mit Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wolfsburger Volkswagenstiftung sollen die sozialen Auswirkungen der rationalisierten Arbeitswelt erforscht werden.
Mit dem Bielefelder Soziologen Claus Offe hat die Bremer Uni für das „Zentrum für Sozialpolitik“ internationale Prominenz geworben. Bis Ende Juni will Offe, der u.a. als Verfechter der grünen Forderung nach einer „Grundsicherung“ bekannt ist, endgültig über die Annahme seines Rufs nach Bremen entschieden haben. Doch in der Uni gibt es keinen Zweifel mehr an seiner Zusage, denn Bremen kann dem Wissenschaftler interessante Forschungs-Voraussetzungen bieten. „Bremen - ein kleiner Stadtstaat in extremer Krise versucht innovativ und nicht reaktionär da rauszukommen“, schilderte Offe gegenüber der taz seinen künftigen Arbeitsort, zu dem er zwar „keine persönliche Affinität“ hat, den er aber „politisch und ökonomisch sehr interessant“ findet.
„Innovativ“ zeigten sich Bremer Senat und Bremer Uni bereits mit einem kongenialen Finanzierungstrick für den künftigen Sitz des „Zentrums für Sozialpolitik“: Das Gymnasium am Barkhof, das nur noch bis zum Sommer 1989 als Schule genutzt wird, kann für fünf Mio Mark von Grund auf renoviert werden, ohne daß es Bremen einen Pfennig kostet. Der Trick: Die Stadtgemeinde, in deren Besitz sich
das Schulgebäude befindet, verkauft es für 10 Mio Mark an das Land Bremen, das für die Universität zuständig ist. Da Hochschulbauten zu 50 Prozent vom Bund mitfinanziert werden, bringt die rein formale Überschreibung des Barkhofs von der Stadt auf das Land netto fünf Mio Mark in Bremens Kasse der Umbau finanziert sich damit selbst.
Weniger erfolgreich waren die Bemühungen des Bremer Senats,
Offes Ehefrau eine Anstellung als Lehrerin zu verschaffen. Die von Senator Franke beantragte Ausnahme vom Einstellungsstopp wurde im Winter vom Haushaltsausschuß abgelehnt. Und wenn am kommenden Mittwoch wieder über Ausnahme-Einstellungen beraten wird, ist Sabine Offe nicht mehr dabei. Claus Offe hat das familiäre Problem inzwischen abgehakt: „Die Frage hat für meine Entscheidung über
haupt keine Bedeutung mehr.“
Dagegen freut Offe sich über die erstmalige Genehmigung eines „Sonderforschungsbereichs“ der DFG an der Bremer Uni. „Das wird überall als großer Erfolg gesehen.“ Zusammen mit dem eigenen „Zentrum für Sozialpolitik“ gäbe es dann in Bremen „ein spannendes Bündel von Forschungsprojekten“. Die gut zwei Dutzend sozialwissenschaftlichen ForscherInnen beider Institute werden bis 1990 besonders eng zusammenarbeiten: Ab Herbst sollen sie nämlich gemeinsam im Stadtzentrum untergebracht werden, bis der Barkhof renoviert und für das DFG-Institut an der Uni ein neues Gebäude bezugsfertig ist. Außerdem sind mit Stephan Leibfried und Rainer Müller zwei Bremer Professoren an beiden Forschungs -Einrichtungen beteiligt.
Im DFG-Projekt soll untersucht werden, wie Menschen mit den heute in vielen Bereichen aufgelösten festen Lebenskonzepten wie Ehe, Beruf, Geschlechterrollen umgehen. Das „Zentrum für Sozialpolitik“ will demgegenüber den staatlichen Umgang mit Arbeitslosigkeit, Armut und Krankheit und dessen Folgen unter die Lupe nehmen. Zu diesem Zweck sollen die WissenschaftlerInnen auch direkten Zugriff auf anonymisierte Daten der Bremer Sozialverwaltung bekommen.
Dirk Asendorpf
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