Brecht, Oberammergau, etc.: Althippie-Spiele
■ Die Berliner Uraufführung von Bertold Brechts Bühnenfragment „David“ wurde unfreiwillig komisch
Es begab sich aber zu einer Zeit, da waren manche vom Theater ohne Arbeit. Diesen Umstand fürchteten sie sehr, und sie sahen sich nach Freunden und Stücken um. Da war noch eines, klein, mehr ein Stückchen von einem Stück, das man Fragment nennen konnte. Der Dichter war schon länger tot, aber er hatte Erben. Und es begab sich, daß darunter auch manche vom Theater ohne Arbeit waren. Und so traf es sich, daß manche zusammen- und übereinkamen.
„Habt ihr nicht noch was von Brecht?“ So etwa muß Brigitte Grothum eines Tages bei einer Tasse Tee ihre Freundin Barbara Brecht-Schall gefragt haben. Sie hatte. Vielmehr ihr Mann, der Schauspieler Eckehard Schall, der schon in den achtziger Jahren im Brecht-Archiv auf drei Szenen aus den Jahren 1919 bis 1921 gestoßen war. Biblischer Stoff, die David- Geschichte. Man verteilte die Rollen: Der Gatte Schall darf den alten David mimen, Tochter Jenny entwirft die Kostüme, dafür übernimmt Brigitte Grothum, die sich bereits mit der Berliner Version des „Jedermann“ eine späte Lebensaufgabe gestellt hat, die Regie. Sogar bearbeiten darf sie das ganze kleine Etwas und in eine biblische Chronik mit Musik und Gesang ummünzen.
Wie bei einem Krippenspiel für ältere Semester stehen Männer und Frauen in langen wallenden Gewändern in der Gegend herum und sprechen abwechselnd Worte und ganze Sätze aneinander vorbei. Die Bühne: ein Davidstern, der sich um die eigene Achse zu drehen vermag, sobald die Szenerie in lila Licht getaucht wird und religiöse Gesänge zu vernehmen sind. Manchmal bewegen die Darsteller auch die Glieder zur Musik, und dann steht plötzlich zu befürchten, die Zuschauer seien in die Althippie-Version von Oberammergau geraten.
Da aber kommt ganz bestimmt Frau Grothum auf die Bühne und verkündet, man werde mit der Probe fortfahren. Das ist nämlich ihr Kunstgriff, die Inszenierung als öffentliche Probe zu verkaufen: ein Laienspiel. Schauspieler stehen nebeneinander oder voreinander und sagen ihren Text auf. Bei Umbauten wird einfach ein kleiner Vorhang heruntergelassen, und schwupp werden ein paar Dias oder Filmaufnahmen vom Krieg oder aus Jerusalem eingeblendet. Ist der Umbau beendet, ist auch der Einsatz der medialen Mittel gnadenlos vorbei.
Bald sorgt die tänzerische Einlage eines einstigen Solotänzers an der Deutschen Oper Berlin für unfreiwillige Komik: Davids Tanz um die Bundeslade als Groteskversion eines Mannes mit dem Aussehen eines in die Jahre gekommenen Bodybuilders, der die Beinmuskeln spielen läßt. Drei Szenen des „David“-Fragments gibt es; zu Anfang provoziert der junge David die Leute durch seinen faulen Charakter, später klagt der alte David um seinen Sohn Absalom. Drumherum: ein paar andere Brecht-Texte, Tagebucheintragungen, das Lied vom Stier. Gesänge, Gesülze, Dilettantisches, das Dialektische ins Programmheft verbannt, kurzum: Brecht bis zur Unkenntlichkeit geradebrecht. Sabine Seifert
„David“ von Bertold Brecht, Regie: Brigitte Grothum; Bühne: Igael Tumarkin. Weitere Termine: täglich bis 15. 11., im Hebbel Theater, Berlin.
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