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Breakfast Club

Berlin Scanner: Während das Neuberliner Kapital in die Höhen strebt, verbreitert sich die traditionelle Gastronomie in die Horizontale. Zum Frühstück bei Konopkes Schnellimbiss an der Eberswalder Straße war  ■   Eva Behrend

Bekanntlich ist das Lifestyle-Phänomen „Frühstücken“ längst zur Marginalie geworden. Wer glaubt, beispielsweise im Adlon japanische Birnen und Bündnerfleisch verzehren zu müssen, hat nichts begriffen, sondern verlängert die Brunch-Exzesse der mittleren 90er überflüssigerweise in die Gegenwart. Frühstücken heißt Kaffeetrinken und nichts weiter.

Manchmal möchte der Mensch jedoch ausbrechen aus seiner als richtig, vernünftig und wegweisend erkannten Gewohnheit. Aus purer Frivolität gelüstet ihn nach dem komplett Anderen – also nicht der kostspielig und vitaminös aufgetufften Buffet-Variante, sondern nach abgründiger Exotik. Wie so oft findet sich diese direkt vor der eigenen Haustüre: Breakfast at Konopke's!

Wir hatten uns schon am Vorabend auf das morgendliche Ereignis vorbereitet und ganz bewusst so viel getrunken, dass ein satter, den Appetit auf derbere Kost stimulierender Kater zu erwarten war. Nach vier Stunden Schlaf riss der Wecker unsere dröhnenden Köpfe aus tintigen Träumen; sehnsuchtsvoll liebäugelten wir mit der Lavazza-Dose. Statt dieser Verlockung zu folgen, stiegen wir in Mäntel und Stiefel und stapften vor. Zu Konopke.

Dass auch fundamental anders gefrühstückt werden kann, hatte sich mir schon vor geraumer Zeit in der Mainzer Postkantine erschlossen, wo zwischen 5.30 Uhr und 7.30 Uhr Schnitzel, Bockwürste und Nierenspieße über den Thresen und in die Mägen der Zustellbeamten wanderten. Auf die Frage, wie man denn so was um diese Uhrzeit überhaupt hinunterbrächte, erscholl es aus fettglänzenden Mundwinkeln: „Ei, der, wo viel schafft, derf auch viel esse!“ Auch mein Begleiter wusste von befremdenden Bräuchen zu berichten: Sein Großvater habe allmorgendlich drei rohe Eier geschlürft – im treuen Irrglauben, dies stärke seine Manneskraft.

Letztlich war es also das faszinierend andere Verhältnis zum Fleisch, zum gegrillten wie gebrühten, zum fremden wie zum eigenen, das uns an diesem nasskalten Novembermorgen um sieben Uhr zu Waltraut Ziervogels Großraum-Imbiss Schönhauser Allee Ecke Eberswalder Straße trieb. Konopke kauert sich dort unter die verrußte Hochbahn, teilt die Schönhauser Allee und wird umbrandet von permanenten Rush-Hours, vom Verkehr der Autos, U- und Straßenbahnen. Konopke sei Knotenpunkt und Verkehrsinsel, befanden wir, mehr aber noch Höhle und Zufluchtsort. Im gleichen Maße, wie das Neuberliner Kapital in transparente Höhen strebe, so verallgemeinerten wir waghalsig, wuchere die traditionelle Erfolgsgastronomie („seit 1930“) schrebergärtnernd in die asphaltierte Horizontale.

Die Grundausstattung – ein großzügiger Container plus flache Resopal-Tische zum Abstellen der Wurstteller – war mit neuer Leuchtbeschriftung ergänzt (oder wenigstens geputzt), vor allem aber das Territorium um ein sommerfrischelndes Bier- und Sonnenzelt erweitert, mit Sitzgelegenheiten, Blumenpötten, Laternen und einem rustikal gemauertem Zäunchen drum rum.

Jetzt im Winter lagen im Sonnenzelt heimelig rote Polster auf den Bänken. Um Konopkes Fassade wand sich weihnachtlicher Girlandenschmuck, und ein Jägermeister-Aufkleber auf der Glasscheibe wünschte „frohes Fest“. Zu unserer großen Enttäuschung warteten hier noch keine Menschenschlangen in Fleischeslust. Zwar fielen uns fast die Augen zu und in den Gliedern flimmerte es beträchtlich, doch hätten wir gerne der wortkargen Wurstvernichtung fremder Berliner beigewohnt. So wurden wir nur von der mindestens vierköpfigen Imbissbrigade in Uniformen „rot-weiß“ lauernd betrachtet, während wir den Frühstücksplan in Wort und Bild studierten: Vom Schaschlik bis zur Blutwurst wartete die fahlfarbene Fleischware neben sechs Nudel- und Kartoffelsalatvarianten. Eine irgendwie völkerkundliche Schlachteplatte mit Breslauern, Thüringern, langen Wienern, kurzen Wienern. Nebendran kehrten uns halbierte Schrippen ihre beschmierte Fläche zu: Gutsleberwurst, Schmalz, Häckerle und Bismark ohne c. Unsere leeren Mägen schrumpften auf solche junkerlichen Angebote hin zu Erbsengröße, und als wir uns schließlich doch für einen Kaffee entschieden, schrumpfte auch etwas von unserer Ethnologen-Arroganz. Wir waren teilnehmende Beobachter geworden.

Am Resopal-Tisch pickte nun immerhin ein pickliger Schüler hastig geschredderte Currywurst in Kniehöhe auf. Sein Blick glitt melancholisch über die Kastanienallee, und wir fragten uns, ob dieses Kind, das zweifelsohne gegen die Frühstückpolitik seiner Mutter revoltierte, sein trotziges Aufbegehren im gleichen Augenblick bedauerte. Zwei Bauarbeiter trugen Teller mit Thüringer Rostbratwürsten, appetitlich von einem glänzenden Ketchupmantel umhüllt, in Richtung Sommerfrische. Indes fluchten wir leise über die Pointenlosigkeit unseres frühmorgendlichen Erweckungsexzesses, und als könnten wir das Scheitern doch noch aufhalten, bestellten wir endlich.Zwei Currywürste.

Im Zelt ließen wir die Darmhäute der Wursthappen am Gaumen zerplatzen und spürten der Wärme nach, die sich von der Körpermitte langsam bis in die Fingerspitzen ausdehnte. Für einen Moment wenigstens wussten wir, dass wir nicht nur Konopke, sondern auch der Bedeutung eines Zentralbegriffs unserer Muttersprache sehr nahe gekommen waren. Der Gemütlichkeit.

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