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Archiv-Artikel

Braucht NRW die taz?

Die taz ist die einzige Überregionale mit NRW-Teil. Seit zehn Jahren berichten wir über das bevölkerungsreichste Bundesland. Muss die unabhängige Stimme im Medien-Mainstream erhalten bleiben? Sind selbst CDU und FDP taz-süchtig? Ein Duell unserer „Lieblingsfeinde“

CHRISTA THOBEN, 65, ist Landesministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie. Die Ex-Staatssekretärin im Bundesbauministerium war von 1999 bis 2000 Berliner Kultursenatorin – seit dieser Zeit liest sie morgens den Tagesspiegel, aber gleich danach die taz. Dass die CDU-Politikerin aus dem Ruhrgebiet ins Kabinett Rüttgers sollte, berichtete die taz übrigens bereits 2004 exklusiv.

JA

NRW ohne taz ist wie Borussia ohne Dortmund oder Köln ohne Karneval – unvorstellbar. Seit Dezember 2003 erscheint die taz nrw täglich und sorgt oft genug für Adrenalinstöße bei PolitikerInnen. Das ist gut so, und zwar nicht nur wenn es „die Anderen“ trifft. Wir brauchen solche Anstöße. Auch wenn in Teilen der politischen Klasse der Trend zum selbst gelenkten Denken unverkennbar zunimmt, kann es nicht schaden, hin und wieder mit originellen, phantasievollen Ideen behelligt zu werden. Das weitet den Horizont und hat noch niemandem geschadet. Dabei hilft die taz ungemein mit einem oft genug unverstellten, ungewohnten Blick auf die Dinge im Lande.

Was noch wichtiger ist, die taz nrw pflegt keine Schablonen. Die anfangs von vielen belächelte Spontaneität des Blattes bildet den eigentlichen Mehrwert der taz gegenüber anderen journalistischen Formen. Hier sind Unberechenbarkeit, Überraschungsmomente, unkonventionelles Programm. Damit steht die taz nicht allein, ich lese und schätze auch noch andere Zentralorgane für unfrisierte Gedanken, aber die taz nrw betreibt dies besonders konsequent und witzig.

Ich brauche eine solche Lektüre. Denn wenn ich mich immer nur mit den Zeitgenossen beschäftige, die ohnehin meiner Meinung sind, fehlt mir etwas. Das Leben wäre langweiliger, die Politik ideen- und freudloser. Wer intelligente Politik machen will, braucht den Blick über den eigenen Zaun.

Denn ich will und muss Politik auch für jene machen, die die Partei, der ich angehöre, nicht gewählt haben. Schon deshalb interessiert mich das gesamte Meinungsspektrum einschließlich der Nischen, die sich mir nicht ohne weiteres erschließen – vielleicht lernt man etwas voneinander, vielleicht wandelt sich das eine oder andere Vorurteil zum Urteil. Auch deshalb empfehle ich den mäßigen, aber regelmäßigen Genuss der taz nrw.

Jetzt droht der Entzug der täglichen Dosis taz. Ich hoffe sehr, dass es in letzter Sekunde noch gelingt, den NRW-Teil zu erhalten. Politik, Wirtschaft (ja, auch die), Kultur und der gesellschaftliche Diskurs im bevölkerungsreichsten Land der BRD sollten auf diesen Teil des publizistischen Spektrums nicht verzichten müssen.

Laut taz-Eigenwerbung ist sie die einzige überregionale deutsche Tageszeitung mit einer eigenen Redaktion in NRW, täglich quälen uns 17 Journalistinnen und Journalisten mit ihren Berichten und vor allem mit ihren Kommentaren. Schwer vorstellbar, dass damit schon in wenigen Tagen Schluss sein soll. Schon jetzt lebt jeder fünfte taz-Abonnent in Nordrhein-Westfalen, 500 zusätzliche Abonnenten konnten in den vergangenen Wochen hinzugewonnen werden, 500 fehlen noch. Das müsste doch zu schaffen sein.

CHRISTA THOBEN

JA

„Möllemann verfehlt die absolute Mehrheit“, titelte die taz am 15. Mai 2000. Prägnanter und distanzierter hat wohl niemand den Überschwang der FDP nach ihrem Überraschungserfolg bei der damaligen Landtagswahl zusammengefasst. Noch heute hängt die Ausgabe auf den Fluren unserer Landtagsfraktion. Sie ist ein Belegstück für das Markenzeichen der taz: ihre satirischen, mitunter auch sarkastischen Überschriften. Man kann die taz wohl nur mögen oder ablehnen – ich mag sie.

Ihr Charme besteht für mich aus der Verbindung von überwiegend gutem Handwerk, nicht selten exklusiven Themen, die andere Zeitungen nicht aufgreifen, und der manchmal spürbaren Unbedarftheit einer Schülerzeitung.

CHRISTIAN LINDNER, 28, ist Landtagsabgeordneter und seit 2004 Generalsekretär der NRW-FDP. Der studierte Politikwissenschaftler ist Oberleutnant der Reserve. Lindner liest die taz bereits am Vorabend ihres Erscheinens – weil sie als erste NRW-Zeitung ihre Berichte ins Internet stellt. Zum Frühstück liegen dann das Feuilleton der FAZ oder linke Theorieblätter auf dem Tisch.

In der Tat ärgere ich mich öfter über die taz nrw als über andere Medien. Mehr als ein Mal fand ich meine Argumente und die der FDP nicht richtig dargestellt. Oft wünsche ich mir zusätzliche Fakten, die unsere Haltung untermauern. Aber die taz macht eben keine Hofberichterstattung, die sich nach den Wünschen derjenigen richtet, über die berichtet wird. Sie steht für einen alternativen Journalismus, der sich eine Meinung erlaubt – nicht nur in Kommentaren.

Im Redaktionsstatut der taz heißt es: „Sie widersteht dem Druck der Stereotype und des sprachlichen und thematischen Konformismus.“ In einer Zeit, in der Linke und Poplinke die kulturelle Dominanz errungen haben, sollte die Redaktion diesen Anspruch neu prüfen. Die eigentümliche Wandlung linker Politik in den vergangenen dreißig Jahren, dem Staat und seinen Institutionen früher Misstrauen entgegen gebracht zu haben, ihn heute aber als Instrument zur Erziehung besserer Menschen und – paradoxerweise – als Garanten der Freiheit zu begreifen, wäre eine Debatte wert. Bei der Auseinandersetzung mit „neoliberaler“ und „marktradikaler“ Politik bleibt die taz jedenfalls noch hinter ihren Möglichkeiten zurück. Alarmismus und Dämonisierung ersetzen nicht das ehrliche Bemühen, Positionen und Motive des Andersdenkenden erst zu verstehen, bevor er kritisiert wird. Hatte Ulf Poschardt vor zwei Jahren mit seinem Aufruf „Wir müssen reden“ in der taz also nicht doch Recht?

Als Liberaler schätze ich die Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen. Erst fundierter Widerspruch erlaubt es, die eigenen Auffassungen zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund lese ich im Redaktionsstatut der taz: „Für die Redaktion ist Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden.“ Das gilt auch für das Verhältnis von linkem Journalismus und liberaler Politik. Der Medienlandschaft in NRW würde etwas fehlen, wenn die regionale Stimme der taz verstummte.

CHRISTIAN LINDNER