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Die Reise des SPD-Ehrenvorsitzenden nach BagdadBrandt allein auf Friedenstour

■ Während der US-Außenminister Baker vor Wüstensand den Soldaten moralisch den Rücken stärkt, startet Willy Brandt mit leerem Airbus nach Bagdad. „Wenn es dort nicht knallen soll, dann muß man versuchen herauszufinden: Gibt es nicht doch Auswege aus der Krise?“ erklärte der Friedensnobelpreisträger.

Gestern mittag war es soweit: 14 deutsche und ein belgischer Techniker aus dem Irak kamen in Frankfurt am Flughafen an. Die Kölner Baufirma Strabag hatte schon Ende Oktober vier ihrer Mitarbeiter freibekommen, die letzten 18 werden demnächst erwartet. Wie der Vorstandsvorsitzende Peter Jungen, der selbst vor zehn Tagen in Bagdad verhandelt hat, das Kunststück fertig gebacht hat, wollte der Firmensprecher auch mit Rücksicht auf die verbliebenen 18 Leute nicht sagen.

Kurz nach der Ankunft der Strabag-Techniker startete der Airbus Willy Brandts mit 249 leeren Plätzen und dem SPD-Ehrenvorsitzenden, der auf Einladung Huseins nach Bagdad reist. Er wolle „eine ganze Menge“ der Geiseln mitbringen, erklärte Brandt, und vielleicht ein zweites Flugzeug nachkommen lassen.

„Hören, was im Kopf Huseins vor sich geht“

In der vergangenen Woche hatte sich Brandt vergeblich um einen Auftrag der Uno für seine Reise bemüht. Auch eine internationale Reisegruppe war nicht zustandegekommen, die die EG zur Voraussetzung einer Zustimmung gemacht hat. Nun fährt Brandt doch allein, und während Kanzler Kohl anfangs sich gegen eine isolierte Aktion gewandt hatte, erklärte die Bundesregierung jetzt, sie wünsche der Reise Brandts „im Interesse der betroffenen Menschen“ Erfolg. Brandt selbst erklärte seine Reise am Sonntag abend im Fernsehen: „Es ist höchste Zeit, daß man jetzt auch etwas tut." Andere kümmerten sich auch um ihre Bürger. „Es ist richtig, sich wie die Vereinten Nationen für alle einzusetzen. Aber man darf die Fürsorgepflicht für die eigenen Landsleute nicht zu kurz kommen lassen."

Brandt geht es nach seinen eigenen Worten aber nicht nur um die humanitäre Seite. Natürlich müsse Irak sich aus Kuwait zurückziehen, unterstrich er. Aber es gebe eine ganze Reihe von Fragen, die im Nahen und Mittleren Osten gelöst werden müßten. Er wolle nicht verhandeln, aber er sei „gespannt, zu hören, was in dem Kopf des Mannes vor sich geht, der dort der entscheidende Faktor ist." Gegen die Kritik an seiner Einzel- Reise wandte sich Brandt mit den Worten: „Wenn es dort nicht knallen soll, mit Auswirkungen womöglich weit über die Region hinaus und nicht nur auf das Öl bezogen, dann muß man versuchen herauszufinden: Gibt es nicht doch Auswege aus der Krise?"

Außenminister Genscher hatte die Reise gestern früh ausdrücklich als humanitäre begrüßt. „Da wir nichts unversucht lassen wollen, um den Menschen, die dort gegen ihren Willen festgehalten werden, die Heimreise zu ermöglichen — ich beziehe das auf die Angehörigen aller Nationen — wünschen wir der Reise von Willy Brandt viel Erfogt." Genscher geht davon aus, daß es zu einer Freilassung von Geiseln kommt: „Ich bin ganz sicher, daß eine Persönlichkeit von der Erfahrung und dem Range Willy Brandts in der Vorbereitung der Reise auch dafür gesorgt hat, daß diese Reise zu einem Erfolg für die Menschen, die auf die Heimreise warten, wird."

Die Mission von Willy Brandt, interpretierte Genscher, erfolge in Übereinstimmung mit dem Europäischen Rat. Dieser habe den UN-Generalsekretär gebeten, einen Sonderbeauftragten in den Irak zu entsenden, um alle Geiseln freizubekommen. Der habe keine Einreise erhalten, deshalb sei es notwendig, so Genscher, „daß andere Möglichkeiten gesucht werden". Brandt habe zudem klargestellt. „daß er nicht die Absicht hat, zu verhandeln, sondern daß er Erwartungen äußern werde". Die Kritik aus dem europäischen Ausland, so der Sprecher des AA auf der gestrigen Bundespressekonferenz, beruhe auf Mißverständnissen. Regierungssprecher Vogel hielt Brandts Interesse, politische Lösungsmöglichkeiten auszulooten, für ein „legitimes Ziel“.

In der EG wurde der geplante Besuch von Brandt dagegen als Verstoß gegen die internationale Solidarität in der Golfkrise kritisiert. Belgien und die Niederlande beantragten eine Sondersitzung des Außenministerrats der Europäischen Gemeinschaft, die am Montag abend in Rom stattfinden sollte. Brüssels Außenminister Mark Eyskens erklärte, Iraks Präsident Saddam Hussein schaffe sich einen „königlichen Hof aller Sorten von westlichen Pilgern, die ihn besuchen, um die Freilassung von Geiseln zu erhalten“. Mit dem Besuch von europäischen Politikern in Bagdad werde gegen den Beschluß der EG von Rom, verstoßen, in der Golfkrise auf jegliche Alleingänge zu verzichten.

De Clercq: Keine nur humanitäre Aktion

Der belgische Politiker Willy De Clercq, der eigentlichm mitfahren sollte, bedauert es, daß es nicht zu einer Mission „europäischen Charakters“ gekommen ist. Gegenüber der belgischen Zeitung 'La Dernière Heure' (s. nebenstehendes Interview) behauptete er, Brandt habe in seinen Erklärungen klargestellt, daß er den irakischen Diktator allein aufsuchen wolle. Außerdem sei inzwischen deutlich, daß es sich bei der Brandt-Mission nicht mehr um eine rein humanitäre Angelegenheit handle, sondern daß es politische Verhandlungen geben werde, was nach den ursprünglichen Absichten nicht der Fall gewesen wäre. „Der vorgeschlagene Plan, eine kollektive Mission aus den wichtigsten politischen Strömungen der Europäischen Gemeinschaft nach Bagdad zu entsenden, schien mir interessant und attraktiv“, sagte de Clercq. Nach den Stellungnahmen Brandts hätten die Umstände eine rein humanitäre Mission zur Befreiung der Geiseln aber nicht mehr zugelassen.

Belgien will in den nächsten Tagen eine Delegation des belgischen Roten Kreuzes nach Irak fahren lassen, De Clercq wird eventuell später selbst nachreisen.

Nakasone: Mit Hussein Übereinstimmung

Der frühere japanische Ministerpräsident Nakasone, der seit Sonntag in Bagdad im Interesse von 350 japanischen Geiseln antichambriert, erklärte nach seinem Gespräch mit Hussein im Fernsehen, er bringe „neue Ideen“ in die Bemühungen um eine friedliche Lösung mit zurück. Er sei mit Hussein „zu einer Übereinkunft in der Beurteilung der Golfkrise gelangt“, er sei der Ansicht, daß „die aktuelle Krise seine Ursachen in anderen Problemen der Region hat“ und „alle diese Probleme“ bei einer Lösung einbezogen werden müßten. Brandt hat sich ausdrücklich gegen eine „künstliche Koppelung“ der Kuweit-Frage mit dem Palästina-Problem ausgesprochen.

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