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Brandenburger Verein im Grenzgebiet„Über die Grenze geprügelt“

Um Geflüchtete zu unterstützen, ist Miriam Tödter von „Wir packen’s an“ in Polen unterwegs. Sie wünscht sich mehr Solidarität mit allen Flüchtenden.

Das Team von „Wir packen's an“ mit den Spenden für Geflüchtete Foto: Sebastian Schmidt
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Tödter, Sie waren für Ihre Hilfsorganisation „Wir packen’s an“ in Polen unterwegs, zuerst an der Grenze zur Ukraine, dann an der nach Belarus. Was haben Sie erlebt?

Miriam Tödter: Schon auf dem Weg zur ukrainischen Grenze ist mir der viele Verkehr aufgefallen: Richtung Osten viele Laster und Transporter, Richtung Westen viele Minibusse, teilweise Reisebusse, offenkundig mit Kriegsflüchtenden an Bord. Wir sind in den Grenzort Cieszanów gefahren, dort hat die Organisation Folkowisko, die eigentlich Festivals organisiert, eine humanitäre Verteilstation aufgebaut.

Und denen helfen Sie?

Ja, die brauchen ganz viel Lebensmittel, vor allem Sachen, die man ohne Zubereitung und in einer Schlange stehend zu sich nehmen kann. Die Geflüchteten stehen auf der ukrainischen Seite immer noch stunden- bis tagelang an.

Warum eigentlich?

Von den Freiwilligen vor Ort wurde uns gesagt, dass es dafür drei Gründe gibt. Einmal wird nach Männern im wehrfähigen Alter geguckt, die dürfen das Land ja nicht verlassen. Dann werden alle registriert, damit man im Fall von größeren militärischen Zerstörungen weiß, wer noch im Land war. Auch kann man so spätere Familienzusammenführung erleichtern, wenn man weiß, wer in welche Richtung das Land verlassen hat. Drittens glauben die Freiwilligen, dass die ukrainischen Offiziellen krasse Bilder von den Warteschlangen wollen, weil sie nicht wollen, dass die gesamte Zivilbevölkerung die Ukraine verlässt. Vermutlich eine Mischung von all dem.

Sie versorgen also die Leute in der Schlange?

Ja, unsere Partnerorganisation hat mit dem lokalen Bürgermeister und im kleinen Grenzverkehr mit der ukrainischen Seite erreicht, dass die Hel­fe­r*in­nen über die Grenze dürfen und die Leute versorgen können, wenn sie in dieser Schlange stehen. Die Leute sind völlig erschöpft, es ist kalt, teilweise hat es noch geschneit. Sie bekommen diese wärmenden Rettungsdecken, die wir aus der Seenotrettung kennen, Energiegetränke, Schokoriegel.

Das bringen Sie aus Berlin?

Ja, wir hatten schon zwei Fuhren mit dem Lkw, ich bin beim zweiten Mal mitgefahren. Inzwischen haben wir eine Kooperation mit dem Soli-Bus. Das ist ein Berliner gemeinnütziger Verein, der sich bei uns gemeldet hat. Sie fahren regelmäßig mit dem Bus zur Grenze, um Leute abzuholen, vor allem Schwarze Menschen, PoCs, aber auch andere. Auf dem Hinweg nehmen sie jetzt unsere Lebensmittel mit.

Im Interview: Miriam Tödter

ist eine der Grün­de­r*in­nen von „Wir packen’s an“. Die Hilfsorganisation mit Sitz in Bad Freienwalde organisiert Spendentransporte für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen, vor allem Griechenland und Bosnien, jetzt auch Moldawien und Polen. Die Organisation freut sich vor allem über Geldspenden. Infos: www.wir-packens-an.info/spenden/.

Wie ging Ihre Fahrt weiter?

Also, am 8. März waren wir losgefahren, erst nach Cieszanów, dort haben wir zwei Drittel des Lkws ausgeladen, dann sind wir weiter nach Hajnówka an der Grenze zu Belarus. Dort arbeiten wir mit der Grupa Granica zusammen. Das ist diese Koalition, die sich letzten Herbst gebildet hat aus kleinen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Unterstützung der Geflüchteten, die über die belarussische Grenze gekommen sind. Eine Zeit lang war dort weniger los, aber jetzt kommen wieder mehr Geflüchtete über diese Grenze.

Das sind weiterhin vor allem Menschen aus Nahost?

Ja, im Moment kommen ziemlich viele syrische Menschen; aber auch Leute aus Jemen, Irak, Afghanistan.

Haben Sie selber mit Flüchtlingen sprechen können?

Bei diesem Trip nicht. Im vergangenen Herbst war ich selber bei einem Einsatz in diesem Waldgebiet dabei. Aber dort hat die polnische Regierung angefangen, eine Mauer zu bauen. Darum weichen die Flüchtenden nach Norden aus, wo die Grenzlandschaft sehr sumpfig ist. Die Hel­fe­r*in­nen von Grupa Granica haben uns erzählt, dass sie jetzt viele Hilfeanrufe bekommen von Menschen, die in diesen Sümpfen feststecken.

Was machen sie dann?

Selber können sie die Leute nicht retten, weil das Sumpfgebiet viel zu ausgedehnt ist und viel von dem Sumpf in der Sperrzone liegt, die die Regierung entlang der polnisch- belarussischen Grenze eingerichtet hat. Wenn also Hilferufe kommen, rufen die Hel­fe­r*in­nen die Feuerwehr an, teilweise sogar das Militär. Weil nur das Militär Drohnen hat, mit denen man in diesem Sumpfgebiet die Leute finden kann.

Was passiert denn mit denen, die gerettet werden?

Wenn die offiziellen Rettungskräfte, Militär oder Grenzschutz als Erstes zu den Geflüchteten gelangen, werden sie in der Regel illegal, oft mit Gewalt, wieder über die Grenze nach Belarus geschubst, getreten, geprügelt, geworfen. Darum versuchen die Hel­fe­r*in­nen zu organisieren, dass Leute bei der Rettung dabei sind, damit es einen gewissen Schutz vor Pushbacks gibt. Wer „Glück“ hat, kommt in eines der Detention-Center, die in der Region eingerichtet wurden. Die Zustände in diesen Lagern müssen schrecklich sein: 20 Leute auf einem Zimmer, nur einmal die Woche darf man telefonieren, keine geschlechtergetrennten Duschen.

Haben Sie den Eindruck, es gibt in der Öffentlichkeit ein Unbehagen über diese unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen?

In der polnischen Öffentlichkeit wohl nicht. Die Leute von Grupa Granica, die diesen Unterschied stark kritisieren, sind eine absolute Minderheit.

Und in Deutschland?

„Wir packen’s an“ sagt ja sehr deutlich, dass wir solidarisch mit allen Menschen auf der Flucht sind. Toll, wie die ukrainischen Leute willkommen geheißen werden. Aber wir sagen auch, wir wünschten, das wäre für alle so!

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1 Kommentar

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  • Sie werden nicht gleich behandelt und behandelt werden. Erstens sind die meisten Geflüchteten Alte,Frauen und Kinder. Zweitens, brennt es beim Nachbarn, dann helfe ich bei den Löscharbeiten und biete Unterkunft an. Brennt in Afrika ein Haus, dann erwarte ich, dass die Nachbarländer helfen, vor allem da sie näher am Geschehen sind.



    Es gibt eben Unterschiede, die man nicht ausblenden oder beiseite schieben kann. Die Frage ist doch: Warum nimmt die Türkei 2 Millionen Syrer auf und Saudi-Arabien nur wenige? Weiterhin möchten die Geflüchteten Ukrainer/innen in den überwiegenden Fällen zurück in die Heimat.