Brandenburg: Fehlendes Milieu

Die Grünen werden es bei der Kommunalwahl in Brandenburg am 28. September schwer haben. Noch immer gilt: Gut im Speckgürtel, schwach auf dem Land.

Die Zuwachsraten sind enorm. Eine Steigerung der Mitgliederzahlen um 150 Prozent in Frankfurt (Oder), gut 80 Prozent mehr Grünen-Mitglieder in der Prignitz und immerhin ein Anstieg um satte 27 Prozent landesweit: Die Grünen in Brandenburg sind auf dem Vormarsch. "Dank der Diskussion um Braunkohle und Energieversorgung sind wir inhaltlich präsenter", sagt Landeschef Axel Vogel.

Indes ein Blick auf die tatsächlichen Zahlen zeigt das Dilemma im Bundesland: Im Vergleich zu anderen Parteien dümpeln die Grünen immer noch vor sich hin. 700 Menschen engagieren sich für die Umweltpartei; die SPD hat zehnmal so viele Mitglieder. Die Chancen, bei den Kommunalwahlen einen Bürgermeisterposten zu ergattern, sind gering.

"Gerade im weiter entfernten, sehr ländlichen Entwicklungsraum ist man doch weit weg von der Agenda der Grünen", erklärt der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin (FU). Dort stehe Hartz IV auf der Tagesordnung und nicht der Umweltschutz. "Für die Partei ist es dann schwer, mit ihren Themen durchzudringen." Grünen-Landeschef Vogel bestätigt: "Wir sind stark im Berliner Speckgürtel, aber schwach etwa in der Lausitz."

Beispiel Prignitz: In dem Kreisverband haben 22 Menschen ein grünes Parteibuch. Wo sich Engagierte finden, erhalte die Partei auch Stimmen, sagt der Vorsitzende Helmut Adamaschek. "In einigen Gegenden stecken wir aber noch in der Schublade: Wir sind die Ökos, die irgendetwas verbieten wollen." Seiner Einschätzung nach ist das weniger ein Ost-Problem als eines des ländlichen Raums: In vielen bayerischen Landstrichen kämpft die Partei gegen dieselben Vorurteile. "Natürlich sieht der Handwerker, dass er dank der gefragten Wärmedeämmung mehr Aufträge kriegt - aber deswegen wählt er noch lange nicht grün."

Speziell brandenburgisch ist indes die demografische Entwicklung: Wer jung ist, zieht weg - und die Grünen-Wähler sind nun einmal mehrheitlich jung. "Die werden bei uns aktiv, und dann gehen sie", sagt Landeschef Vogel. "Wir sind die Talentschmiede für die West-Grünen." Die Einwohnerzahl von Frankfurt (Oder) etwa ist von 89.000 zur Wendezeit auf 61.000 gesunken. Die besser Ausgebildeten gingen irgendwann, bestätigt der Sprecher des Kreisverbands Frankfurt (Oder) Jörg Gleisenstein.

Er will dabei nicht klagen, die Grünen vor Ort haben seit der letzten Kommunalwahl deutlich zugelegt. Der Solar-Boom spielt ihnen in die Hände, die Blüte der Viadrina-Universität auch. FU-Politologe Niedermayer bestätigt, dass die spezielle von Professoren und Studierenden geprägte Atmosphäre wichtig ist für die Partei: Die geringe Anzahl an Uni-Städten sei mitverantwortlich für die Situation der Grünen in Brandenburg, sagt er. "Der Milieu-Unterbau ist nicht ausgeprägt."

Weiter von Berlin entfernte Kreise hoffen, künftig ebenso wie der Speckgürtel von den zugezogenen Hauptstädtern zu profitieren. Bei ihnen, so die Erwartung, könnten sie mit Energie- und Bildungsthemen punkten. Regionale Kreisläufe statt Fernwärme, neue Arbeitsplätze dank der Solarindustrie und der Ökolandbau soll gestärkt werden. Die Brandenburger Biobauern können die steigende Nachfrage aus Berlin kaum befriedigen, sie könnten sich nach Ansicht der Grünen besser vermarkten.

Verbandschef Adamaschek aus der Prignitz hofft auch, dass sich Ex-Berliner motivieren lassen für ein bisschen Partei-Engagement. Bei ihm habe es genauso angefangen: Er zog mit der Familie in die Gegend, um Ruhe von der Großstadt zu haben. Dann merkte er: "Man muss hier etwas bewegen."

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