piwik no script img

Boykott gegen Deutschland

■ China dreht den Spieß um und lädt Klaus Kinkel aus

Man sollte Kinkel jetzt nicht zusätzlich der Lächerlichkeit preisgeben, nur weil nicht er, sondern Peking seine umstrittene Reise ins Reich der Mitte abgesagt hat. Einen Chinaboykott der Bundesregierung hatte schließlich niemand gefordert. Vielmehr fragt man sich heute, ob es Bonn jetzt mit einem Deutschlandboykott zu tun hat.

Verwundern dürfte das nicht: Der chinesische Premierminister Li Peng hatte erst vor kurzem Washington mit Vergeltung gedroht, weil dort die Kritik an den Pekinger Machthabern nicht nachläßt. Selbst auf den Vorschlag des US-Außenministers, in Zukunft regelmäßige Gipfeltreffen zwischen China und den USA zu veranstalten, ist Peking bisher nicht eingegangen. Wer die Gesuche des US-Präsidenten ausschlägt, kann allemal über einen deutschen Außenminister hinwegsehen.

Trotzdem haben weder Bonn noch Peking mit einer so rapiden Verschlechterung ihrer Beziehungen gerechnet. Noch beim letzten Kanzlerbesuch in der Volksrepublik, als Kohl umstrittenerweise die Armee besuchte, glaubte Peking, der Kanzler habe seine heimischen Kritiker unter Kontrolle; und Bonn meinte für dauerhaftes Vertrauen gesorgt zu haben. Wo lag also das Mißverständnis?

Vielleicht sahen die chinesischen Führer mit ihrem ausgeprägten Sinn fürs Historische in Kohl einen zweiten Bismarck. Zweifellos entging ihnen, daß der Kanzler in der Regel der Mehrheitsmeinungen im eigenen Volk folgt. Die besonders für chinesische Verhältnisse überstürzte Absage des Kinkel- Besuchs deutet jedenfalls an, daß niemand in Peking die Dynamik der Tibet- Diskussion in Deutschland voraussah.

Umgekehrt hat auch Bonn mit Illusionen gelebt: Nicht nur der Kanzler redete immer wieder vom ausgezeichneten Stand der deutsch-chinesischen Beziehungen, die angeblich davon profitierten, daß Peking sowohl mit Washington als auch mit Tokio seine Schwierigkeiten habe. Bonn sah sich als lachender Dritter — ausgerüstet mit dem wirtschaftlichen Know-how, das die Volksrepublik verlangte. Fazit: Keine freundschaftliche Beziehung zwischen zwei Mächten ist so einfach, als daß sie sich nur aus ökonomischen Interessen ableiten läßt. Die Außenpolitiker in beiden Hauptstädten hatten ihre Hausaufgaben nicht gemacht. David Waage

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen