piwik no script img

■ Bosniens Flüchtlinge sollen Deutschland rasch verlassenStimmenfänger nach allen Seiten

Das Schöne am Populismus ist, daß seine Vertreter selbst innerhalb derselben Partei einander widersprechende Analysen vertreten können und daraus dann trotzdem kein Richtungsstreit wird. Jüngstes Beispiel: die Einschätzung der Lage in Bosnien-Herzegowina. Verteidigungsminister Volker Rühe meint, eine Abschiebung von Flüchtlingen könne man angesichts der Lage vor Ort „nur ganz vorsichtig machen“. Bundesinnenminister Kanther hält dagegen, die Bedingungen für eine Rückführung seien „zu einem guten Teil“ erfüllt und tritt für Kürzungen der Sozialhilfe ein. So läßt sich ein breites Meinungsspektrum beim Wahlvolk bedienen.

In diesen Wochen werden die Weichen für eine Stationierung von Natottruppen im ehemaligen Kriegsgebiet über 1996 hinaus gestellt. Zum Thema wird in den nächsten Monaten viel von der internationalen Verantwortung Deutschlands die Rede sein, von der Gleichberechtigung im Reigen der Völkergemeinschaft und natürlich vor allem von der Solidarität mit der schwergeprüften Zivilbevölkerung.

Schöne Worte, die unter dem Gesichtspunkt des Stimmenfangs außerordentlich nützlich sind. Punktgewinne lassen sich in der Wählergunst aber bekanntlich auch mit Sparbeschlüssen erzielen, die den Wählern selbst nicht weh tun. Die Abschiebung bosnischer Flüchtlinge schon ab Oktober soll die Kosten für Sozialhilfe senken — vor allem beim deutschen Mittelstand immer eine populäre Forderung.

Aus Deutschland sollen also in diesem Winter Menschen in ein zerstörtes Land abgeschoben werden, wo kaum jemand Arbeit hat, Brennholz für viele unerschwinglich, sauberes Wasser knapp und die medizinische Versorgung katastrophal ist — und in dem der Frieden nicht gesichert ist.

Für die Flüchtlinge steht zu hoffen, daß in den allermeisten Fällen bürokratische Hürden Abschiebungen vor dem Frühjahr verhindern. Aber um die praktische Umsetzung des Beschlusses geht es ja in Wahrheit auch gar nicht. Die Ministerrunde hat sich nicht um die Lösung eines Problems bemüht, sondern auf die vermutete Stimmung im Lande reagiert. Auf dem Rücken derer, die ihre Stimme nicht erheben können, lassen sich gut Stimmen sammeln. Bettina Gaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen