■ Bosnien steht vor einer trostlosen Alternative: Wenn SFOR bleibt, wird es zum Nato-Protektorat – wenn SFOR geht, droht ein Krieg: Die Fallen des militärischen Denkens
Zwei Paradigmen prägen die deutsche Debatte um den Nato- Einsatz in Bosnien-Herzegowina: zum einen der Nato-Leitsatz „Gemeinsam rein – gemeinsam raus“; zum anderen die Feststellung Volker Rühes: „Militärisch erfolgreich, zivil zuwenig erreicht.“ Die Akteure, die sich so auf die Schultern klopfen, sind die gleichen, die aus nationaler Interessenpolitik nicht frühzeitig bereit waren, sich im auseinanderbrechenden Jugoslawien zu engagieren, um den drohenden Krieg zu verhindern. Sie marginalisierten die UNO, indem sie ihr einen Auftrag gaben, aber nicht die notwendigen Mittel, um erfolgreich sein zu können.
Die Ankündigungen von Rühe und Clinton, am 30. Juni 1998 werde das SFOR-Mandat beendet und die internationalen Streitkräfte abgezogen, haben die Nato- Verteidigungsminister Anfang Oktober angesichts der Konfliktlage in Bosnien-Herzegowina revidiert. Die Nato will – in welcher Form auch immer – bleiben. Rühe erklärte am 1. Oktober: „Die Nato könnte sich nirgendwo auf der Welt mehr sehen lassen, wenn nach dem Abzug wieder Krieg ausbricht.“ Damit macht er deutlich, daß die Nato fürchtet, in die gleiche Glaubwürdigkeitsfalle zu geraten, in die sie einst die UNO drängte. Es soll also alles wunderbar lautlos vonstatten gehen – dem Ifor-Einsatz folgte SFOR, dem SFOR-Einsatz folgt DFOR (deterrence force). Das rettet den inneren Frieden der Nato, aber nicht den für Bosnien-Herzegowina.
Diese Politik des „Weiter so!“ und die These, der ungerechte Frieden von Dayton könne nur militärisch aufrecht erhalten werden, ist falsch. Ohne den Aufbau alternativer, friedenserhaltender Strukturen wird der Friedensprozeß zusammenbrechen. SFOR hat zwar de facto zur Stabilisierung von außen beigetragen. Aber selbst Offiziere bestätigen, daß SFOR unter dem Problem leidet, Kriegshandlungen zwar beenden zu können, nicht aber Frieden implementieren zu können. Dies gilt insbesondere für ein Militärbündnis wie die Nato, das sich globale Interventionsfähigkeit verschafft, um als Weltordnungspolizei fungieren zu können. Auch wenn sich die Nato das Deckmäntelchen der Vereinten Nationen umlegt, widerspricht es ihrem Wesen als Militärorganisation, eine neutrale Schlichterrolle zu übernehmen. Deshalb ist es notwendig, die UNO, die von ihrem Selbstverständnis und ihrer Struktur her anders agieren kann, ins Spiel zu bringen.
Wie die jüngere Entwicklung in Bosnien-Herzegowina zeigt, gerät auf militärisches Denken verengte Politik in Situationen, die eine bereits erreichte Stabilität gefährden. Beispiel eins: die Eskalation durch das Anheizen des innerserbischen Konfliktes, in dem sich Anhänger des Kriegsverbrechers Karadžić und dessen ehemalige Weggefährtin, die Präsidentin Plavšić, bekämpfen. Der Konflikt hat sich u.a. durch die einseitige Parteinahme der Nato weiter zugespitzt. Beispiel zwei: der sogenannte Rüstungskontrollprozeß. Real findet ein Aufrüstungsprozeß der muslimisch-kroatischen Föderationsarmee durch die USA – und zukünftig auch durch Deutschland – statt. „Train and equip“ führt dazu, daß sich verschiedene Armeen gegenüberstehen: eine desolate und veraltete serbische Armee, eine moderne, relativ hochgerüstete Armee der Föderation und die der Kroaten, die behaupten, bereits Nato-Standard erreicht zu haben. Das heißt, nicht einmal das klassische Kriterium militärischer Stabilitätspolitik, ein militärisches Gleichgewicht, wurde erreicht. In der New York Times vermerkt ein Nato-Offizier: „Die Frage ist nicht mehr, ob die Muslime die bosnischen Serben angreifen, sondern wann.“ Diese Bereitschaft ist bei allen Kriegsparteien anzunehmen.
Die Staatengemeinschaft selbst hat es versäumt, parallel zur militärischen Stabilisierung jene Strukturen aufzubauen und zu unterstützen, die in der Lage sind, einen Waffenstillstand in einen Friedensprozeß überzuleiten. Es scheint, als wiederhole sie die Fehler der Vergangenheit.
Der Verzicht, den zugegeben unbequemen und schwierigen Weg zu wagen und endlich den auf Jahre notwendigen Blauhelmeinsatz der UNO vorzubereiten, bedeutet, Bosnien-Herzegowina vor zwei – gleichermaßen unbefriedigende – Alternativen zu stellen. Entweder es würde über Jahre zu einem militärischen Protektorat der Nato kommen, das die ethnische Teilung manifestiert – oder SFOR zieht ersatzlos ab und würde so neuen Kriegshandlungen den Weg bereiten. Beides wäre für die Menschen fatal. Gerade wegen der Zuspitzung der Lage und der Wechselbäder von Eskalation und Eindämmung lokaler Konflikte muß es unser Anliegen sein, Alternativen zur militärischen Einseitigkeit zu entwickeln und zu unterstützen. Voraussetzung hierfür ist, daß sich in der internationalen Staatengemeinschaft die Einsicht durchsetzt, daß der kurzatmige Vertragsrhythmus durchbrochen und eine Konzeption für einen langfristigen Wiederaufbau entwickelt werden muß. Dazu ist es notwendig, die geeigneten Akteure zu entsenden. Konfliktbearbeitung ist ein langwieriges Geschäft. Die Fixierung auf die militärische Denkweise muß ad acta gelegt werden zugunsten der Stärkung zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen, um einen sich selbst tragenden Friedensprozeß zu implementieren.
Konkret heißt das beispielsweise, daß endlich die fehlenden 20 Millionen US-Dollar bereitgestellt werden müssen, die nach UNO- Angaben benötigt werden, um die Menschen in Bosnien innerhalb von zwei Jahren von der tödlichen Geisel Mine zu befreien. Als Voraussetzung für die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge ist die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnraum sicherzustellen. Auf die Konkretisierung der Agenda zur zivilen Konfliktprävention und Moderation muß hier verzichtet werden. Abschließend sei nur noch ein wichtiger Punkt erwähnt. Um die Arbeit der derzeit etwa 2.000 nichtstaatlichen Organisationen vor Ort besser zu koordinieren und diese in Einklang mit einem zukünftigen Peacekeeping-Mandat der UNO zu bringen, ist die Einrichtung eines autonomen NGO-Rates zu unterstützen, der ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung hat, um die Effizienz der Arbeit zu erhöhen.
Erst wenn nicht mehr militärisches Denken die Menschen in Bosnien-Herzegowina und der internationalen Gemeinschaft dominiert, sondern sie sich vorrangig Gedanken über die Zukunft ihres Landes, über den wirtschaftlichen Aufbau und die Versöhnung machen, hat der Frieden in Bosnien- Herzegowina eine Chance – vorher nicht. Angelika Beer
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