■ Bosnien braucht noch lange das Engagement der internationalen Gemeinschaft. Und Teilungspläne bringen den Frieden nicht näher: Plädoyer für eine BALKO
In den USA wird die Mandatsverlängerung der SFOR-Truppen über das Jahr 1998 wieder ernsthaft kritisiert. „Was sollen wir da noch länger?“ fragen Amerikaner. Für Europa gilt im eigenen Interesse: Der Frieden auf dem Balkan muß langfristig gesichert werden, der Krieg darf keinen neuen Nährboden finden. Terror und Vertreibung wie während des Bosnien- Krieges dürfen nicht wiederkehren. Europa kann sich die Wiederholung nicht leisten, so wie sich die Welt den Hitlerterror nie wieder leisten kann.
Reinhard Mutz (der kürzlich an dieser Stelle einen Debattentext zu Bosnien veröffentlichte) ist nicht der erste, der als Friedensangebot für Bosnien die weitere Trennung sieht – also die friedliche Apartheid. Die Herzogewina sollte an Kroatien angegliedert werden; orthodoxe und muslimische Bürger müßten erneut ausgesiedelt werden. Die Republika Srpska soll an Serbien fallen. Auch die Präsenz der SFOR-Truppen wird mit der Notwendigkeit dieser verstärkten „ethnischen“ Trennung begründet.
Dieser Plan spricht der Realität Europas Hohn. Nirgends in Europa gibt es solche homogenen Staaten, deren Bürger nur einer Religion angehören oder sich zu einer einzigen „Abstammung“ bekennen.
Wer in den fünfziger Jahren die damals offenkundige Radikalisierung der Südtiroler als Begründung für das Argument genutzt hätte, Südtirol an Österreich zurückzugeben, der hätte schrecklichen Beifall von Rechtsextremisten bekommen – und dem Frieden geschadet. Natürlich gab es und gibt es dort völkische Parteiungen, aber sie sind inzwischen eingebettet in eine größere europäische Friedensordnung. Die Südtiroler sind italienische Staatsbürger geblieben, ebenso wie die Mitglieder der deutschen Minderheit in Westpolen polnische Staatsbürger sind. Niemand würde die Aussiedlung der protestantischen Iren aus Nordirland fordern, weil dort bis vor wenigen Monaten Terror herrschte. Aber für Bosnien wird Trennung als „Friedens“-Programm gefordert.
Wer die Trennung von Volksgruppen – friedliche Apartheid – befürwortet, klammert, wie seit Beginn des Krieges, die Zeichen einer ganz anderen Wirklichkeit aus. Es wird verdrängt, daß es viele Bürger in Bosnien-Herzegowina leid sind, immer wieder auf etwas reduziert zu werden, was für sie vor dem Krieg nicht zählte: das „Völkische“. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in einigen Städten haben dies gezeigt, am deutlichsten in Tuzla: 50 Prozent der Wähler dort gaben ihre Stimme einer politischen, keiner religiös gebundenen Partei. Mit ihrem Votum machten sie deutlich, daß sie Interessen als Stadtbürger haben – der Programmlosigkeit der drei nationalen Parteien gaben sie einen Korb. Wo würden diese Bürger sich in einem Apartheid-System wiederfinden?
Wer die völkisch-religiöse Bindung jetzt auf ewig zementieren will, der vertreibt noch einmal die Millionen Menschen, die aus seit langer Zeit gemischten Familien stammen.
Die Zugkraft der nationalen Parteien nimmt ab. Die Menschen in Bosnien-Herzegowina merken, daß der falsche Religions-Nationalismus ihnen nur Krieg und Elend gebracht hat. Von Karadžić und anderen wissen sie inzwischen, daß diese zu viel Geld gekommen sind. Auch deswegen wollen diese politischen „Führer“ die Kontrolle der Fernsehprogramme behalten: Sie brauchen diese Produktion von Haßpropaganda, um die nationalistische Trennung aufrechtzuerhalten, aus der sie ihre Millionen geholt haben.
SFOR hat dafür gesorgt, daß dieses Geschäft mit dem Haß aufhört. Das ist die entscheidende Funktion der Anwesenheit fremder Soldaten: den Bürgern zu zeigen, daß sie Teil eines Europa und einer internationalen Gemeinschaft sind, die Terror als Mittel innergesellschaftlicher Konflikte nicht mehr duldet.
Die SFOR-Soldaten sind in Bosnien-Herzegowina stationiert, um die Stabilität des Landes für Europa sichern zu helfen: kulturell, wirtschaftlich und sozial. Das geht nicht in wenigen Monaten. Es wird ein langer Gewöhnungs- und Versöhnungsprozeß sein müssen.
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen haben die Apartheid-Argumente widerlegt. Gewiß ist es wahr, daß Nationalisten in einigen Gemeinden und Kantonen noch die Mehrheit haben. Aber das kann keine weitere Aussiedlung begründen. Beim Frieden in Bosnien-Herzegowina geht es heute also ähnlich wie vor vierzig Jahren in Südtirol um die allmähliche Einbindung dieser komplizierten Gesellschaft in europäische Strukturen. Dazu ein Vorschlag:
– Nato, Rußland und die USA bereiten die Bildung eines Sicherheitsbündnisses vor: einer Balkan Treaty Organization BALKO. Deren Hauptaufgabe ist die innere Sicherheit mit dem Ziel, Terrorgefahren auf Dauer zu beseitigen.
– Den Staaten des Balkan, allen voran dem gefährdeten Bosnien- Herzegowina, wird zunächst eine Mitgliedschaft auf Dauer angeboten, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist: Vor allem darf es keine weiteren Planspiele mit Umsiedlungen geben. Die jeweils eigenen, in BALKO integrierten militärischen Kräfte werden auf ein Minimum reduziert.
– Die SFOR-Präsenz wird im Laufe von drei Jahren in eine BALKO-Präsenz umgewandelt. Die Nato, als permanenter BALKO-Partner, behält ihre strategische Rolle.
Eine solche auf Permanenz und Sicherheit ausgerichtete Organisationsform soll die Bedingungen für eine friedliche Zukunft schaffen. Dabei geht es zuvörderst darum, das Vertrauen der Bürger Bosniens in eine nicht-nationalistische, europäische Zukunft zu unterstützen. Denn nur so kann der sogenannte „Brain Drain“ beendet werden, also die weiterhin andauernden massiven Auswanderungsversuche der gut ausgebildeten Leute. Zudem sind die Rückkehr der Flüchtlinge auf Dauer und die Stärkung der Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmen vorrangige Ziele.
Dies ist ein erster Vorschlag – keineswegs die Position einer Gruppe oder (m)einer Partei. Fünfzig Jahre glaubten die Amerikaner, in Deutschland bleiben zu müssen, um die Sowjets an der Elbe zu bannen und West-Berlin zu schützen. Heute liegen die Gefahren für Europa weniger in der Bedrohung durch den großen Krieg als in der permanenten Bedrohung durch den haßgeschürten völkischen Terror. Ihn zu überwinden ist die Sicherheitsaufgabe Nummer Eins für die friedliche Zukunft unseres Kontinents. Freimut Duve
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen