: Bosnien: „Rettungsversuch in letzter Minute“
■ Treffen der Kriegsparteien / UNHCR erwartet Garantien für Hilfskonvois
Genf (taz) – „Feste Garantien“ für die freie Fahrt von Hilfskonvois in Bosnien-Herzegowina und ihren sicheren Zugang zu inzwischen fast 3 Millionen Menschen, deren Überleben von Hilfslieferungen abhängig ist: das erhofft sich das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) von einem Treffen der Führer der drei bosnischen Kriegsparteien heute in Genf. Zu ihrer ersten Begegnung seit Abbruch der Genfer Direktverhandlungen zum Dreiteilungsplan für Bosnien Anfang September wollten der bosnische Präsident Alija Izetbegović, Serbenführer Radovan Karadžić sowie der Chef der westherzegowinischen Kroaten, Mate Boban, ihre jeweiligen Militärkommandanten mitbringen. Inzwischen hat Izetbegović jedoch bereits mitteilen lassen, daß er nicht nach Genf reist. Statt dessen wird Ministerpräsident Silajdzić an den Gesprächen teilnehmen.
UNHCR-Sprecherin Sylvan Foa bezeichnete das Treffen am Dienstag als „Versuch in letzter Minute“, den Hunger- und Kältetod von im schlimmsten Fall mehreren hunderttausend Menschen in den kommenden Wintermonaten noch zu verhindern. Seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien im Juni 1991 sei „die Lage noch nie so fürchterlich und verzweifelt gewesen“. In Sarajevo fielen gestern zwölf Zentimeter Schnee.
Diplomaten der Jugoslawien- Konferenz, die in den letzten zwei Monaten intensive, aber ergebnislose Shuttle-Diplomatie zwischen Belgrad, Sarajevo und Zagreb betrieben hatten, äußerten sich am Dienstag pessimistisch über die Erfolgsaussichten des geplanten Treffens. Es gebe kaum Aussicht auf eine politische Lösung der Konflikte sowohl in Bosnien wie in der von Serben besetzten kroatischen Krajina. Solange alle Seiten weiterhin versuchten, militärische Erfolge zu erringen, bleibe die Bevölkerung Kriegsgeisel und sei ein Ende der Be- und Verhinderung von Hilfslieferungen realistischerweise nicht zu erwarten. Zudem sei fraglich, ob die Führer der drei Kriegsparteien und ihre höchsten Militärkommandanten überhaupt noch die volle Befehlsgewalt über ihre Truppen hätten und in der Lage seien, eine Vereinbarung auch durchzusetzen.
In Den Haag wurden am Mittwoch die Richter des internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien vereidigt. Elf Richter und ein Ankläger sollen Personen zur Rechenschaft ziehen, die sich seit Januar 1991 auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien schwerer Vergehen gegen die Menschenrechte schuldig gemacht haben. Nach der Amtseinführung beginnt die erste Sitzung des Gerichts, die etwa zwei Wochen dauern soll. Aus Anlaß der Vereidigung erklärte die Göttinger Menschenrechtsorganisation „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV), daß die UNO bisher noch nichts unternommen habe, um Massengräber in Bosnien zu untersuchen. Bereits im April habe sie zusammen mit dem „Zentrum für die Erfassung und Dokumentation von Kriegs- und Genozidverbrechen“ mit Sitz in Zenica der UNO- Kommission für Kriegsverbrechen in Genf eine Liste mit mehr als 120 Massengräbern vorgelegt. Dazu gehören Karten serbisch besetzter bosnischer Regionen, in denen die Stellen markiert seien, wo irreguläre serbische Tschetnik-Verbände ermordete muslimische und kroatische Zivilisten verscharrt hätten. Andreas Zumach
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