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■ Bosnien: Opfer werden Täter, aber Täter keine OpferHumanitäre Wachsamkeit

Der kroatische Offizier sprach ruhig in die Kamera: Man müsse verstehen, unter seinen Soldaten seien viele, die vor drei Jahren aus ihren Dörfenr vertrieben worden seien. Nun komme es – leider – zu einzelnen Racheakten. Inzwischen wissen wir, daß ganze Ortschaften in der Krajina niedergebrannt wurden. Daß die wenigen, zumeist sehr alten serbischen Bauern, die in ihrer Heimat geblieben sind, schwer mißhandelt wurden. Wir kennen auch Fälle von nacktem Mord. Die Rachelust tobt sich an den Häusern aus; da sie selten auf Dortgebliebene stößt, müssen die Tiere dran glauben. Die schwedische Journalistin Anne Marie Bustrom, die verlassene und verbrannte Krajina-Dörfer aufgesucht hat, berichtet von grauenvoll verstümmelten Kühen und Pferden. Stolz habe die vierte Brigade aus Split an die rauchenden Ruinen ihr Schriftzeichen geschmiert – mit dem Zusatz „Ustascha“.

Zweimal haben Beobachtergruppen der „Helsinki Watch“ Berichte herausbringen können. Auch die Berichte über die Lage der fliehenden Serben beim Vorrücken der bosnischen Armee und beim Überrollen der Dörfer waren bisher spärlich – aber heute wissen wir: Es ist bis Ende August immer wieder zu grausamen Racheakten gekommen. Die Beobachter der EU, die in Zagreb stationiert sind, haben inzwischen einen umfassenden und nach all dem Grauen der letzten drei Jahre erschütternden Bericht vorgelegt. Der vertrauliche Bericht der EU-Beobachter, der nun wohl vorliegt, gibt Aufschluß über das unkontrollierte Wüten kroatischer Soldaten, über Verstümmelungen und Morde an alten Menschen – und er zeigt, wie trickreich die Regierung in Zagreb versucht, die Rückkehr der Geflohenen zu verhindern.

Seit drei Jahren hatten die bis vor kurzem siegreichen Pale-Soldaten das alte Opfermuster der serbischen Selbstbespiegelung gepflegt: vor Jahrhunderten Opfer der Türken, vor über fünfzig Jahren Opfer der Deutschen. Aber nie sahen sie sich als Täter, nicht im Kosovo, nicht nach den furchtbaren Menschenjagden von Prijedor und Banja Luka 1992, über die jetzt der Den Haager Gerichtshof befinden wird.

Nun sind, seit Tudjman siegt, die geflohenen und vertriebenen serbischen Zivilisten aus der Krajina und aus Ostbosnien wirklich die neuen Opfer. Sie haben ihre Heimat verloren und keine neue gefunden. Die ersten versuchten zurückzukehren – ohne Erfolg.

Jetzt werde ich manchmal besorgt, manchmal hämisch gefragt, ob ich nicht endlich anerkennen wolle, daß es zwischen Karadžić und Tudjman kaum Unterschiede gibt. Leid als Grausamkeitstest im Small talk. Eine gefährliche Falle, in die einige in ihrer Hilflosigkeit oder zynischen Gedankenlosigkeit immer wieder geraten. So wird die humanitäre Kritik immer aufs neue diskreditiert. Eine Mechanik wird in Gang gesetzt, die mit simplem Umkehrschluß jedem erlaubt, sich bequem herauszuhalten. Ein fataler Trick: Grausam sind alle Seiten gleichermaßen, und besonders grausam ist der gewesen, den du gerade noch als Opfer hingestellt hast.

Damit haben wir Erfahrungen aus ganz anderen Tagen. Im Kalten Krieg hatten wir dies als globales Fingerballett eingeübt. Zeigst du auf meinen Pinochet, zeige ich auf dein Gulag; gibst du Laut bei meiner Apartheid, dann bin ich laut bei deinem Kuba. Die Finger tanzten über den Globus der Grausamkeit. Wir waren fein raus. Die Regeln für das Spiel hatten wir von amnesty international: einen Fall im Osten, einen im Westen und einen in der Dritten Welt. Für das eine die FAZ, für das andere die FR und für den dritten Teil die taz. Das Spiel konnte auch in der Innenpolitik gut genutzt werden. Das ist jedoch alles Geschichte. Jetzt sind wir konfrontiert mit Gewalt, Schlag auf Schlag. Mit der Rückkehr von Opfern, die zu Tätern werden, die nicht Recht ausüben, sondern Rache üben.

Das erinnert uns Deutsche an die heißen Redeschlachten des Kalten Krieges. Wir haben Erfahrung mit dem Verarbeiten oder Verdrängen der Spirale der Barbarei. Die säkularen Gewalttaten Hitlers haben es ermöglicht, die grausamen und barbarischen Vertreibungen und Massenmorde, die 1945 an Deutschen begangen wurden, in einer Art von moralischer Bilanz zu verdecken. Das Entsetzen über die Verbrecher der eigenen SS-Soldaten erlaubte, wenn kein Verständnis, so doch das schmerzende Schweigen vom Verstehen der Unmenschlichkeiten gegen die Deutschen auf der Flucht. Die zivile Form der militärischen Verwaltungen in der britischen und amerikanischen Zone taten ein übriges, um aus der Bilanz der Rache das Resümee des Marshallplanes zu ziehen. Erst jetzt, fünfzig Jahre später, da die Erben in Prag eine offene zivile Gesellschaft repräsentieren, kam es zu einer schwierigen offenen Diskussion über Vertreibungsverbrechen und ihre Gründe.

Natürlich ist der bosnische Krieg eine furchtbare self-fulfilling prophecy. Ein Argumentationsarsenal für Rechthaber: Wer schon immer Zweifel daran hatte, daß Sarajevo wirklich die zivile multireligiöse moderne Großstadt gewesen war, als die sie alle engagierten Freunde Bosniens kennengelernt hatten, der wird jetzt stolz die traurige Wirklichkeit registrieren, wohin sich die Politik in Sarajevo zu entwickeln droht. Es sieht nach einem Sieg des radikalen muslimischen Flügels der bosnischen Führung aus. Sarajevo, die westliche, multireligiöse Stadt, hat sich im Überlebenskampf verwandelt. Und ihre Menschen auch. Niemand jedoch hat das Recht, jetzt mit dem Finger auf die Opfer zu zeigen: Ihr seid ja so geworden, wie Karadžić euch immer beschrieben hat. Es gibt Grund genug, jetzt, wo Opfer zu Tätern werden können, sehr präzise zu sein und nicht die Täter zu Opfern zu machen.

Seht mal, heißt es jetzt, die Bosnier morden auch. Also erscheinen die Verbrechen von gestern in freundlicherem Licht. Mindert die Soldateska in der Krajina aber das Gedenken an die grausame Vertreibung der Kroaten vor vier Jahren? Verbietet der bosnische Vormarsch die Erleichterung über die nun freie Zufahrt in die Bihać-Enklave? Darf das Elend in der überfüllten Stadt Banja Luka vergessen machen, daß die schreckliche Wiedergeburt des Begriffes Völkermord in eben dieser Region stattfand – vor drei Jahren, mit den Massakern, den Konzentrationslagern und den Vertreibungen der Muslime und Kroaten aus Banja Luka. Die Vertreibungsverbrechen in Kroatien und Bosnien (und in Ruanda) zeigen: Wir müssen Abschied nehmen von den wohlfeilen Mustern der Vergangenheit. Wir können nicht noch einmal fünfzig Jahre warten, bis wir Mord Mord und Terror Terror auch dann nennen, wenn es als Rachemord und Racheterror gedeutet wird. Die humanitäre Wachsamkeit muß sich diese Spiele von gestern verbieten. Freimut Duve

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