: Boris Jelzin will keinen Vertreter
■ Der russische Präsident liegt mit Herzschwäche im Krankenhaus / „Nur Routine, keine Panik“, sagt der Kreml
Moskau (taz) – Präsident Jelzins angegriffene Gesundheit ist ein Dauerbrenner. Um die Mittagszeit meldete gestern die Pressestelle des Kreml, Boris Jelzin sei wegen einer akuten ischämischen Herzschwäche in die Herzklinik eines zentralen Moskauer Krankenhauses eingeliefert worden. Ischämie tritt auf, wenn Blut- und Sauerstoffzufuhr der Zellen durch eine Arterienverstopfung blockiert werden.
Die offziellen Stellen bemühten sich sogleich, den Vorfall herunterzukochen: Der Präsident unterziehe sich einigen Tests, mehr lasse sich bisher nicht sagen. Die russischen Nachrichten meldeten in einem Rückfall in alte Gewohnheiten Jelzins Hospitalisierung erst mit zweieinhalb Stunden Verspätung. Möglichen Mutmaßungen, der Präsident sei amtsuntüchtig, trat der Kreml sofort entgegen: Jelzin gedenke nicht – wie in der Verfassung vorgesehen –, die Amtsgeschäfte während einer Unpäßlichkeit des Staatsoberhauptes an seinen Stellvertreter, Premierminister Viktor Tschernomyrdin, zu übertragen.
Jelzins Auftreten in der Öffentlichkeit wurde seit langem durch anhaltende Gerüchte begleitet, der Präsident leide an einem ernsten Alkoholproblem. Derartige Mutmaßungen weist seine unmittelbare Umgebung mit aller Entschiedenheit zurück. Meist wird ein Rückenleiden genannt, das sich der Präsident bei einem Spanienbesuch zuzog und dessen Schmerzen starke Medikamentierung erfordern. Die Wodka-Variante erscheint indes doch recht wahrscheinlich: Vergangenes Jahr verschlief der Präsident einen Staatsbesuch in Irland, während des russisch-US-amerikanischen Gipfels im Mai machte er eine denkbar schlechte Figur, und zuletzt in Halifax auf dem G-7-Gipfel fiel es Jelzin schwer, seine Worte angemessen zu plazieren.
In den Zeitungen gestern lächelte Jelzin noch. Sollte seine Erkrankung schwerwiegend sein, dürfte ein erbitterter Kampf um seine Nachfolge ausbrechen. Die Kamarilla um Jelzin fürchtet nichts mehr als den Abgang ihres Schutzpatrons. Khd
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen