■ Boris Jelzin und Helmut Kohl begingen in der Pfalz den Vatertag, und der Kandidat garantierte dem russischen Präsidenten in Bonn vorausblickend Kontinuität.: Beim Truppenabzug kein wirkliches Zugeständnis
Boris Jelzin und Helmut Kohl begingen in der Pfalz den Vatertag, und der Kandidat garantierte dem russischen Präsidenten in Bonn vorausblickend Kontinuität.
Beim Truppenabzug kein wirkliches Zugeständnis
Für Rudolf Scharping waren die Meinungsverschiedenheiten und die daraus folgenden Irritationen um die Verabschiedung der russischen Truppen aus Deutschland „unverständlich und schädlich, so überflüssig wie ein Kropf“. Das sagte der SPD-Kanzlerkandidat gestern, am zweiten Tag des Besuchs Boris Jelzins, vor Journalisten in Bonn. Anläßlich des Arbeitsfrühstücks der SPD-Führung mit dem russischen Präsidenten sprach sich Scharping dafür aus, daß Rußland in die maßgeblichen internationalen Organisationen eingebunden werden sollte. Als Beispiele nannte er die Welthandelsorganisation, den Kreis der führenden Industrienationen im Rahmen der G7 sowie die Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und die Beschränkung von Waffenlieferungen. Bezüglich der Wirtschaftshilfe für Rußland sprach sich Scharping für einen verstärkten Transfer von „Wissen, Erfahrung und Können“ sowie von Forschungsergebnissen aus.
Nach dem Frühstück mit den SPD-Oberen war für den russischen Präsidenten der nächste Imbiß schon geplant – aber erst nach einem touristischen Pflichtprogramm, das Jelzin zusammen mit dem Oggersheimer in dessen Pfälzer Heimat führte. In Begleitung ihrer Angetrauten Naina Jossifowna und Hannelore (Kohl) flogen beide mit dem Hubschrauber zunächst nach Speyer. Auf dem Programm standen nach einer Besichtigung des dortigen Doms ein Empfang in des Kanzlers Datsche in Oggersheim sowie ein Besuch in Kohls Lieblingskneipe in Deidesheim: Das Menü dürfte unseren Lesern nach elf Jahren Kanzlerschaft hinlänglich bekannt sein.
Bereits am Vortag hatten sich Jelzin und Kohl darauf geeinigt, die letzten russischen Soldaten nicht, wie vom Kanzler der Deutschen geplant, in Weimar zu verabschieden, sondern den Abschied in Anwesenheit beider Staatsmänner am 31. August in Berlin zu feiern. Der Forderung des russischen Oberbefehlshabers in Deutschland, Generaloberst Matwei Burlakow, nach einer Teilnahme seiner Soldaten an der gemeinsamen Abschiedsfeier der Westalliierten in Berlin gab die deutsche Seite somit nicht nach. Jelzin selbst hatte vor seinem Abflug erklärt, Rußland habe einen Anspruch darauf, mit „Sie“ angeredet zu werden.
Auf der Pressekonferenz vom Mittwoch machte Jelzin klar, daß er selbst die Vorbehalte gegen den Ausschluß der Russen aus dem Kreis der Siegermächte und gegen einen Festakt fern der deutschen Hauptstadt geteilt hatte. „Ich bin sehr zufrieden, daß mein Freund Helmut Kohl die Stimmung in unserer Gesellschaft und die Stimmung des Präsidenten herausgespürt hat“, sagte er, „man kann es nicht so machen, daß wir destabilisiert werden.“ Kohl sei „sehr schnell“ mit dem Vorschlag gekommen, die Feier nach Berlin zu verlegen, aber nicht mit dem Fest der Westalliierten zu verbinden. Kohl räumte ein, seine ursprüngliche Idee mit dem Schauplatz Weimar habe „Mißverständnisse“ hervorgerufen. Er selbst und Jelzin würden sich nun persönlich um den Festakt kümmern, „damit wir die Russen in würdiger und respektvoller Form verabschieden“.
Am ersten Tag des Besuchs, von dem spektakuläre Abmachungen nicht erwartet werden, gaben sich die Gastgeber merklich Mühe, das offensichtlich angekratzte russische Selbstwertgefühl zu stärken. Sowohl der Kanzler als auch der Bundespräsident hoben in Tischreden die Bedeutung der Großmacht Rußland hervor und erklärten die Bereitschaft, das Land in Sicherheitsstrukturen Europas einzubinden. Jelzin selbst kam immer wieder auf das Gewicht seines Landes zu sprechen und leitete daraus auch seine Forderung nach einer Teilnahme im Kreis der führenden westlichen Industrienationen (G7) ab: „Rußland ist eine Großmacht und hat deshalb das moralische Recht, an der Behandlung der Weltfragen teilzunehmen, die in der G7 besprochen werden.“ Die Bundesregierung, so Kohl, unterstütze die Einbeziehung Rußlands in den politischen Teil der G- 7-Treffen und die Erweiterung zur G8 in einem Stufenplan. Vollmitglied könne Rußland aber erst 1995 werden. Kohl will sich während der deutschen EU-Präsidentschaft auch für die zügige Unterzeichnung eines russischen Kooperationsabkommens mit der EU einsetzen. Im Gegenzug unterstützt Rußland Deutschlands Aufnahme in den UN-Sicherheitsrat.
Im Verhältnis zur Nato besteht die russische Regierung auf einer Sonderrolle. „Ohne besonderes Protokoll können wir nicht unterschreiben“, sagte Jelzin. Das Zusatzabkommen müsse der Tatsache Rechnung tragen, daß Rußland eine Großmacht sei und eine Armee mit drei Millionen Soldaten unterhalte, deren Bewaffnung sich von der der Nato-Kräfte unterscheide. Ohne Rußland werde es kein „neues einheitliches Europa“ und keine Lösung der Sicherheitsprobleme geben.
Nutznießer des Jelzin-Besuches war eindeutig die Belegschaft der kriselnden Deutschen Waggonbau AG in Ammendorf bei Halle. Die russische Regierung will trotz eigener Finanzprobleme noch in diesem Jahr für 500 Millionen Mark Eisenbahnwaggons abnehmen. Nach dieser Zusage des mit Hermes-Bürgschaften gesicherten Großauftrags des russischen Wirtschaftsministers Schochin am Mittwoch in Bonn erklärte sein Kollege Rexrodt, die Waggonbau AG könne „endlich aufatmen“, für Firma und Belegschaft ergebe sich jetzt „eine Kapazitätsauslastung mit guten Zukunftsaussichten“.
Verabredet wurde auch die Gründung einer Historikerkommission zur Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. In der Frage der Rückführung von Kulturgütern gab es keine konkreten Ergebnisse. Laut Kohl und Jelzin soll die Rückführung „mit Nachdruck“ vorangebracht werden.
Deutsche Ängste vor einem aufkeimenden Nationalismus in Rußland sind nach den Worten Jelzins nicht begründet: Obwohl in seinem Land 21 Nationalitäten lebten, habe dort Nationalismus nach dem Ende der Sowjetunion nicht zu Blutvergießen geführt. Warum er keine Angst vor Schirinowski habe, erklärte der russische Präsident mit einem Rückgriff auf die jüngste Vergangenheit: „Was Nationalismus bedeutet, das weiß Rußland, das den Krieg von 1941 bis 1945 durchgemacht hat.“ Hans Monath, Bonn
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