Borderline-Journalist Tom Kummer: "Fakten sind langweilig"

Tom Kummer sorgte mit gefälschten Starinterviews für einen Medienskandal. Jetzt hat er eine Autobiografie geschrieben: "Blow up". Will er sich rehabilitieren?

Tom Kummer Bild: Severin Winzenburg/Blumenbar

taz: Herr Kummer, unser Gespräch steht nicht unter guten Vorzeichen. Sie tragen ein T-Shirt, auf dem steht: "I'm probably lying".

Tom Kummer: Ja, sehen Sie, es gibt mehr Leute wie mich! Diese Shirts werden industriell hergestellt, also muss es auch irgendwo Käufer geben.

In Ihrem Koffer sehe ich diverse SZ-Magazine. Ist Ihre Biografie mehr Deutung oder mehr Rechtfertigung?

Wenn ich meine Geschichte aufschreibe, muss man glauben, es sei eine Rechtfertigung. Doch es ist eben meine Geschichte. Um Rehabilitierung kann es ohnehin nicht gehen, denn dass ich nicht mehr journalistisch arbeiten werde, ist evident. Ich wollte eine Sprache finden, um mit meiner Vergangenheit klarzukommen.

Und? Kommen Sie jetzt klar?

Viele haben von mir erwartet, dass ich das Buch direkt nach dem Skandal veröffentliche. Wenn man ein "Fall" wird, versucht man üblicherweise sofort, sich zu vermarkten, zu plündern. Ich hatte viele Angebote von Verlagen, habe aber meinen Sound nicht gefunden, war emotional zu angeschlagen. Aber ich wusste auch nicht, ob ich mich später noch einmal diesen Angriffen aussetzen wollen würde. Deshalb habe ich jetzt alles aufgeschrieben.

Geboren: 14. Januar 1963 in Bern, lebt in Los Angeles Familienstand: Verheiratet, zwei Kinder Ausbildung: Tennisprofi Beruf: Autor und Tennistrainer Karriere: Arbeitete ab 1993 als Hollywood-Korrespondent u. a. für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Veröffentlichte 1996 mit "Good Morning, Los Angeles" sein erstes Buch über Borderline-Journalismus. Löste 2000 mit gefälschten Starinterviews einen Medienskandal aus. Heute ist Tom Kummer Tennistrainer im Jonathan Club in L. A.

Kamen die erwarteten Angriffe bereits?

Der Kommentar von Claudius Seidl in der FAS beispielsweise war anfänglich enttäuschend, doch strategisch ist es völlig normal, dass er sich verteidigt. Eine Schutzhaltung. Das Nachwort, das er zu meinem ersten Buch beigesteuert hat, war schockierend gut. Aber dass er nun behauptet, er habe es als Roman verstanden, obwohl das Buch absolut nicht als Roman gekennzeichnet war, sondern als wahre Geschichte - das ist für mich unerklärlich.

Sie beschreiben in Ihrer Autobiografie, wie Ihr Blick übers Bücherregal schweifte und ein Interview nach dem anderen entstand. Wie entschieden Sie, was zusammenpasste?

Das hat am meisten Spaß gemacht! Als Tom Hanks einen Film rausgebracht hat, durfte ich 30 Minuten zum Einzelinterview. Das Material war unbrauchbar, er redete nur über seinen Film. Ich wusste aber, dass er zeitgleich ein Haus suchte, und das fand ich viel spannender: Wie wählt ein Superstar, der alle Mittel hat, für seine Familie ein Haus aus? Also habe ich ihn "erklären" lassen, wie ein Kinderzimmer aussehen muss, ein Wohnzimmer, das Kernstück seines Lebens. Und habe Tom Hanks mit einem japanischen Feng-Shui-Experten gekreuzt.

Bald darauf waren Sie bei Ivana Trump angelangt.

Zugegeben, das war der goldene Schuss: Philosophische Sätze, wie man sie anspruchsvoller an keiner Universität hören könnte! Die Redaktion in München spielte mit, erwies sich als Kuratorenteam, ich war ihr Künstler - das war Konzeptjournalismus pur. Meine Interviews wurden immer drastischer. Ich hatte das Gefühl, mich ständig toppen zu müssen, fühlte mich als Aushängeschild, wurde euphorisch. Courtney Love ließ ich sagen: "Minotauren essen die Genitalien des Mondes." Wenn man als Redakteur so was liest, würde ich zum Telefon greifen und nach dem Band fragen. Ich fühlte mich, als würde ich Stars repräsentieren. Auf einer Ebene, die ich selbst kreiert hatte.

Wusste Ihre Familie Bescheid?

Meine Frau hat mich kennengelernt als einen, der die Berliner Mauer anzündet. Sie wusste, dass ich über Grenzen gehe, um Selbsterfahrungen zu machen. Bei den Interviews hätte sie sicher gefunden, dass man damit transparenter hätte umgehen müssen. Aber sie hat mitbekommen, auf welches Echo meine Arbeit stieß. Das musste man einfach weiter genießen.

Was ist Ihre Definition von Borderline-Journalismus?

Am Anfang steht eine akribische Recherche. Man muss die reale Lage genau kennen. Die Trump, bekannt als Ehefrau und Repräsentantin, hat sich zu jener Zeit entschlossen, ein ultrakonservatives Ratgebermagazin für Frauen zu gründen, ganz nach dem Motto: Wie kann ich meinen Mann am besten verwöhnen? Also ließ ich Frau Trump, ein Symbol für den amerikanischen Konservatismus, wie eine Philosophin sprechen. Ich legte ihr Dinge in den Mund, die höchst akademisch klangen. Das ist Borderline.

Andere sprachen von einem journalistischen "Attentat".

Viele meiner Kollegen waren sauer, weil sich die Geschichten so verdammt gut lasen. Normal, denn sie waren ja konzipiert. Ich war ein Dirigent, konnte annähernd perfekte Geschichten komponieren. Klar, dass der Hohn dann riesig war, als die Wahrheit herauskam - und ebenso der Schock, dass man reingelegt worden war. Ulf Poschardt, von dem die Bemerkung mit dem "Attentat" stammt, habe ich kennengelernt, als er zwanzig war. Schon damals war spürbar, dass er etwas Neues in den Journalismus bringen wollte. Die Münchner Jungs sind oft nach Berlin gekommen, waren ein bisschen verunsichert. Ich habe sie durch die Stadt geführt. Und ich habe sogar mal ein Interview mit Ulf gemacht.

Ein "echtes"?

Na ja, ein Band war zwar dabei, aber unser Geplauder eignete sich nicht für einen Text. Also habe ich es anschließend umgeschrieben. Von Ulf kam ein Dankesfax: "Das hat richtig toll gepoppt!"

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Ihren früheren Tempo-Kollegen?

Ulf Poschardt ist für mich der Ronald Reagan des Journalismus: An ihm blättert alles ab, man kann ihm nichts anhaben. Moritz von Uslar rufe ich manchmal an, wenn ich in Berlin bin, aber das ist recht selten der Fall. Sie sind alle fantastische Schreiber, ich genieße ihre Geschichten und denke oft zurück an diese Aufbruchstimmung im deutschen Journalismus. Das war eine wirklich große Zeit. Mitte der Achtziger und bis in die Neunziger waren noch finanzielle Mittel da, man ist Risiken eingegangen, hat Geschichten geschrieben über Gummibärchen, über Kalaschnikows oder über Helmut Kohl - alles auf der gleichen Ebene. Das hat Spaß gemacht und ist jetzt einfach vorbei.

Zunächst sollten Sie an der Tempo-Jubiläumsausgabe mitwirken.

Der Chef hat mich persönlich eingeladen. In einer Redaktionsabstimmung wurde dann entschieden, dass ich nicht erwünscht bin. Sonst wären zu viele der anderen Autoren abgesprungen. Mir war bereits von vornherein klar, dass es diesen Widerstand geben würde.

Warum haben Sie überhaupt das Medium Zeitung gewählt und nicht das Medium Literatur?

Die Gelegenheit, für Tempo zu arbeiten, war einfach zu gut. Irgendwann hat mir dann eine innere Stimme gesagt: "Du bist Journalist." Vielleicht hätte ich später aus dieser Spur heraustreten sollen; ich wusste ja, dass ich Extreme etwas zu sehr liebe und dass das böse enden kann. Zugleich habe ich aber auch solide Geschichten geliefert, die oft ein positives Echo hervorriefen, manchmal sogar gefeiert wurden.

Hat Sie dieses Spiel gereizt?

Der Journalismus ist so eine heilige Gattung, und gerade bei Interviews erwartet man eine 1:1-Berichterstattung. Obwohl inzwischen wirklich jeder weiß, dass gerade hier oft mit Halbwahrheiten gearbeitet wird. Bei Tempo dagegen konnte man in der Redaktionskonferenz mit den verrücktesten Ideen aufschlagen und hatte gute Chancen, die auch durchzusetzen.

Wogegen dann die Rebellion, von der Sie so oft sprechen?

Gegen die eingleisige, faktenorientierte Haltung vieler Journalisten: Fakten sind langweilig. Ich konnte nicht akzeptieren, dass das Drumherum gar nichts zählt. Dann dieses Hecheln nach der Story, das Klauen, die Konkurrenz - das fand ich total uncool. Als ich im Irak saß, habe ich lieber mit den Fotografen rumgehangen. Die hatten ein viel kollegialeres Verhältnis als die Journalisten, die immer schon beim Frühstück nervös fragten, wo man am Abend zuvor war und ob man vielleicht mehr erfahren hätte als sie selbst. Das war so kleinlich!

Wenn Sie morgen beim Frühstück feststellen sollten, dass ein völlig anderer Text in der Zeitung stünde, als das Gespräch, das wir gerade geführt haben …

Wenn Sie es fälschen? Hm. Ich fand das Gespräch so schön, dass ich es ehrlich schade fände, wenn Sie nicht annähernd irgendwas übernehmen würden.

Sie würden aber nicht meine Chefredakteurin anrufen?

Nein, sicher nicht. Wenn Sie Kreativität zeigen. Aber dann möchte ich, dass es richtig poppt!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.