Boom an Initiativen: Bürger in Bosnien begehren auf
Mangels Vertrauen in die Politik organisieren sich immer mehr Menschen in Bürgerinitiativen. Oft sollen die Nationalisten in ihre Schranken gewiesen werden.
In Bosnien entstehen immer mehr Bürgerinitiativen, die den Politikern Druck machen wollen. Das Netzwerk der nicht nationalistisch orientierten Graswurzelbewegung ist seit den Wahlen 2006 dichter und aktiver geworden. Es zeigt sich das ganze Spektrum von One-Point-Movements bis zu politisch ausgerichteten Nichtregierungsorganisationen. Ob es wie bei der Organisation "Zeleni Neratva" (Grüne Neretva) um den Erhalt einer einmaligen Flusslandschaft oder wie bei der Selbsthilfegruppe "Zena-Zrtva Rata" (Frauen-Kriegsopfer) um Hilfe für im Krieg vergewaltigter Frauen geht, oder ob Lehrer- und Elterninitiativen sich gegen die Einführung von Religionsunterricht in Kindergärten stellen - allen ist eines gemeinsam: Sie haben kein Vertrauen in Institutionen und bosnische Politiker, die Probleme der Menschen zu lösen.
Als Anfang Februar dieses Jahres in Sarajevo 10.000 Menschen gegen eine unzureichende Jugendpolitik demonstrierten, das Verwaltungsgebäude des Kantons Sarajevo mit Farbbeuteln und Steinen angriffen, zeigte sich die erstarkende Bürgerbewegung erstmals auf der Straße. "Wir waren überrascht von der Intensität der damaligen Demonstrationen", sagt Milan Mrda. Der Menschenrechtler und bosnische Serbe aus Sarajevo hat sich gleich nach dem Krieg 1996 bei den Nichtregierungsorganisationen engagiert. Heute arbeitet er als Programm-Manager im "Civil Society Promotion Centre" - einem der Motoren der zivilgesellschaftlichen Entwicklung in Bosnien und Herzegowina. Von ausländischen Institutionen unterstützt, war die Organisation treibende Kraft in der Initiative "Grozd" (Bürgerorganisation für die Demokratie) 2006, in der sich NGOs und Graswurzelinitiativen zu den Wahlen äußerten. Sie formulierten 12 Punkte als Forderungen an die politischen Parteien. Bis 2010 sollten die nötigen Reformen im Bildungs-, Justiz- und Wirtschaft durchgesetzt werden, um den EU-Anforderungen zu genügen.
Die Organisatoren waren überwältigt vom Ergebnis der Unterschriftenaktion. 500.000 Menschen unterstützten die Initiative und erzwangen ein Abkommen zwischen der gesamtstaatlichen Regierung und den zivilgesellschaftlichen Organisationen, in dem die Umsetzung der Forderungen versprochen wird. "Wir haben den Leuten gesagt: Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand. Jetzt tun dies viele und fragen nicht mehr, ob sie Farbbeutel oder Steine schmeißen dürfen", lacht Milan Mrda.
Die Zeit des Stillhaltens scheint vorbei zu sein. "Die Zivilorganisationen können sich nicht immer durchsetzen, aber wir artikulieren unseren Protest gegen Missstände und Manipulationen der Nationalisten", sagt Bojan Bajic, Chef der neuen Bürgerpartei, "Nasa Stranka" (Unsere Partei ). Die Partei ist aus einer alle Bevölkerungsgruppen umfassenden nichtnationalistischen Initiative des aus Zenica stammenden Regisseurs Danis Tanovic ("No Mans Land", 2002) hervorgegangen. Nach eigenen Angaben sollen dort schon 5.000 Menschen organisiert sein.
Als Bajic vor einem Jahr wegen ausbleibender Investitionen in Ostbosnien die Gründung einer Touristenregion, die serbische und muslimische Gebiete einschließt, entlang der Drina anregte, wurde er in ganz Bosnien bekannt. Er kaufte ein Schiff und fährt jetzt mit Besuchern stromabwärts von dem Ort Rudo nach Visegrad. Das brachte ihm noch mehr Anfeindungen vonseiten serbischer Nationalisten ein. Die Partei "Nasa Stranka" will bei den Kommunalwahlen in diesem Herbst antreten.
Die Parteigründung ist umstritten und kommt für viele zu früh. "Zudem zöge die Parteiarbeit zu viel Energie ab, die ich für meine eigene Jugendorganisation brauche", sagt Jovan Divjak, der Leiter einer Initiative zur Unterstützung von Waisenkindern.
Und die kämpferische Bakira Hasecic, Leiterin der Organisation der Vergewaltigungsopfer "Zena-Zrtva Rata", interessiert sich vor allem für ein Thema: Gerechtigkeit gegenüber den Opfern und Verhaftung der Täter. "Wir machen hier praktisch Polizeiarbeit." Die Polizei der serbischen Teilrepublik sei nicht gerade kooperativ. Die Initiative gibt ihr Material an den Gerichtshof von Bosnien und Herzegowina weiter, der das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ablösen wird. Immerhin gelang es kürzlich, drei mutmaßliche Täter aus Visegrad ausfindig zu machen.
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