: Boom-Schakalak-Boom
■ Breminale '96: Mindestens so naß, bunt und fröhlich laut wie Woodstock/ Ein Streifzug durch HipHop, Budendörfer und die Schachszene der Zukunft
„Die Breminale ist ja doch nur was für Intellektuelle!“ kommentierte ein seltsames Pärchen schulterzuckend, als es das Festival am frühen Freitagabend vorzeitig verließ. Wie denn nun! Da maulen die Bremer Kleingeister jahrelang über die Überpräsenz der Bier- und Bratwurst-Fraktion auf den Osterdeichwiesen, und jetzt sowas. Was genau allerdings den Horizont der beiden Enttäuschten überstieg, blieb im Verborgenen: Vier Tage lang bot die Geburtstags-Breminale ein Fest für Körper und Seele, für Kopf- und Bauchmenschen. Ein bißchen wie Woodstock – und auch fast so naß.
Die vermeintlichen Intellektuellen-Scharen hätte man selbst beim Open-Air-Schach vergeblich gesucht. Vorwiegend ganz junge Kinder nahmen das Spiel in Beschlag. Da soll noch jemand behaupten, die Kleinen begriffen nur noch Spiele mit Joysticks oder Knöpfen dran. Größere Kinder verausgabten sich lieber beim Streetball-Spielen auf dem extra dafür eingerichteten Holzparkur. Dank der riesigen Fortschritte in der Turnschuh-Forschung hatten die jungen Leute auch keinerlei Probleme mit dem hartnäckig fallenden Regen, der die Bretter glitschig machte. Ausrutscher waren selten, dafür gab es selbst nach Einbruch der Dunkelheit noch beeindruckend viele Korbwürfe zu beobachten.
Ebenso hartgesotten rappte der Nachwuchs beim HipHop-Contest gegen die Witterung. Leider ließen sich dennoch nur wenige ZuhörerInnen zum „Boom-Schakalak-Boom“-Mitsingen überreden. Dabei standen die Newcomer vielen der alten Hasen in nichts nach.
Jedenfalls nicht dem rappenden Klassenzimmer „Krombacher MC“, das sich auf der „Flut“-Bühne vergeblich um Partylaune mühte. Trotz vielköpfiger Besetzung war nur dünner Sound zu hören. Es wurde gegen harte Drogen und für mehr Verständnis im Allgemeinen gerapt und dem Publikum versichert: „Das ist eure Party!“
Wer sich seine Party durch diesen Auftritt nicht verderben lassen wollte, konnte sich immerhin an den Pappmaché-Figuren um und auf der Bühne sowie am überdimensionalen Flut-Comicstrip davor erfreuen. Weniger erfreut allerdings war Comic-Künstler PeKa, der die Bilder gemeinsam mit Kollegin Atta und Kollege Maura gemalt hatte, als ein Breminale-Besucher seine aufwendige Arbeit als lediglich „ganz nett“ bezeichnete.
Ernsthafte Probleme mit dem Wetter hatten zumindest am Freitag die Trinkbuden und ihre Biergartenbänke. Niemand mochte sich einen feuchten Hosenboden auf den Sitzgelegenheiten holen, und so war mehr trocknendes und säuberndes Personal als sitzendes und trinkendes Publikum zu verzeichnen. Dank nahegelegener Kioske hielt sich das Kaufverhalten an den zumeist teuren Buden eh in Grenzen. Unter die überdachten Verkaufsstände stellte sich die fröhliche Meute nur, um sich vorm Regen zu schützen. Da fragte eine Verkäuferin schon mal barsch: „Wollt ihr nur singen, oder auch was trinken?“
Wer seine Veranstaltung überdacht hatte, hatte gewonnen. Wie zum Beispiel die K2-Bühne, vor der sich Scharen drängten, um Weltmusik zu lauschen, in den Hüften zu wiegen und nicht naß zu werden. So fand man dort die Klientel, die man üblicherweise bei solchen Veranstaltungen erwartet: Lebenslustige Menschen ohne Socken und Schuhe, jedoch mit Strohhüten, Urlaubsmodeschmuck, Latzhosen, Ringel-T-Shirts und in handgearbeiteten Tüchern vor den Bauch gebundenen Babys. Aber auch reichlich Szenefremde begaben sich auf Entdeckungsreise. Punks beispielsweise, deren verwegener Kopfschmuck mit dem verwegenen Kopfschmuck von Sona Diabaté konkurrieren zu wollen schien, aber den kürzeren zog. Die afrikanische Sängerin und ihre Band gehörten zu den Entdeckungen, die sich zu machen lohnten. Komplexe Percussion-Rhythmen, abwechslungsreicher Gesang, und exotische Instrumente, deren Namen man wahrscheinlich nicht mal aussprechen könnte, würde man sie kennen. Die komplexen Percussion-Rhythmen machten das traditionelle Mitklatschen schwierig. Das hielt das begeisterte Breminale-Publikum selbstverständlich nicht davon ab, trotzdem irgend etwas zu klatschen.
Weniger komplex, aber keineswegs weniger temperamentvoll ging es auf der „Flut“-Bühne zu. Dafür sorgten Bands wie „Best Before 99“ und „Hungerstrike“ mit sympathisch schnörkellosem Crossover-Sound, kurzen Hosen, hohen Sprüngen, Hardcore-Gitarren, geraptem Gesang, gelegentlichem Saxophon und entblößten Oberkörpern. Dazu paßte es dann auch prima, daß die süßen Oldenburger Boys von „Hungerstrike“ die jüngst verblichenen Bübchen von „Take That“ coverten .
Andreas Neuenkirchen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen