■ Bonn will Landenteignungen zwischen 1945 und 49 revidieren: Bauern, Bonzen und Bo...
Die zeitliche Koinzidenz mag ein Zufall sein. Gleichwohl muß es der ehemaligen Sowjetmacht bitter aufstoßen, daß ausgerechnet in den Tagen, da ihre letzten Soldaten Deutschland verlassen, die Bundesregierung einer der wenigen Maßnahmen, die positiv mit dem Wirken der Sowjets als Befreier und Besatzer verbunden werden, den Garaus bereiten will. Trotz aller Beteuerungen sollen nun Nachfahren der ehemaligen Junker und Naziverbrecher das Land ihrer Väter zumindest doch teilweise zurückerhalten.
Der schale Eindruck ist erweckt, daß die deutsche Seite sich an einmal gemachte Zusagen nur so lange bindet, solange ein Faustpfand existiert, sie dazu anzuhalten. Rußland hat es nicht, und auch die Vertreter und politischen Nachfahren der untergegangenen DDR verfügen über keines mehr, die Bundesregierung auf ihre Verpflichtung aus dem Einigungsvertrag festzulegen, die Besitzverhältnisse an dem Bodenreformland unangetastet zu lassen. Was schert diese ihr Geschwätz von gestern, wenn ihre Klientel greint.
Mit dem „Ausgleichs- und Entschädigungsgesetz“ wird unter dem Rubrum einer vermeintlich ausgleichenden Gerechtigkeit in verschlungenen und komplexen Einzelregelungen und Verfahrensweisen revidiert, was, wäre dies einheitsvertraglich klar formuliert erfolgt, zumindest die Debatte um den Unrechts- oder Rechtsgehalt der zugrundeliegenden Tatbestände befördert hätte. So bleibt den Alteigentümern sogar die Auseinandersetzung über den politischen Geist ihrer Altvorderen und das Wirken ihrer Rechtsvorgänger für das Naziregime, um deretwillen viele ja schließlich enteignet worden waren, erspart.
Die Möglichkeit einer historisch-politischen Reflexion wurde mit der gefundenen Verfahrensweise verbaut. Bleibt die Betrachtung der Restitutionsregelung unter einem rechts- und einem strukturpolitischen Blickwinkel. Wegen der „nicht hinnehmbaren Gerechtigkeitslücke“ (SPD-Bundestagsfraktion) zwischen denen, die ihr Grundstück im vollen Wert zurückerhalten, und denjenigen, die eine Entschädigung mit hohen Kürzungsbeträgen erhalten, wird sich wahrscheinlich das Bundesverfassungsgericht nochmals mit dem Gesetz befassen. Die Richter werden dann auch die Rückerwerbsmöglichkeiten unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes zu prüfen haben.
Bei der Würdigung der wirtschafts- und strukturpolitischen Bedeutung drängt sich der Vergleich mit dem Wirken der Treuhand in Industrie und Handel auf – mit katastrophalem Resultat. Kann man im Gewerbesektor der untergegangenen DDR vielleicht noch konzedieren, daß nicht gerettet wurde, was nicht zu retten war, daß Know-how und Kapital aus dem Westen kommen mußten, so wandern nun bei der Landwirtschaft zwar auch die Besitztitel gen Westen, im Gegenzug wird in den neuen Bundesländern allerdings zerschlagen, was strukturell einzig sinnvoll ist: die großflächige Bewirtschaftung von Acker und Weide.
Das „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ atmet in jedem Paragraphen die Abneigung der christ- und freidemokratischen Kamarilla gegen jegliche Form gemeinschaftlicher Landwirtschaft. Die Einzelregelungen des Grunderwerbs durch natürliche und juristische Personen bergen jenes Maß an Chancengleichheit, mit dem bekanntlich schon Affe und Elefant zum Früchtepflücken auf den gleichen Baum geschickt wurden. Wenn das Gesetzeswerk, außer einen penetranten Lobbyismus zu befrieden, noch einen weiteren Sinn birgt, dann den, dem Leitbild des Landmannes gegen die kollektivismusverdächtige LPG-Nachfolgewirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen. Dieter Rulff
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