■ Bonn und die Menschenrechtsverletzungen in China: Nichts tun, verdrängen, vergessen
Wäre Politik eine Frage von Prinzipien, der Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit, müßte Gerhart Baum spätestens jetzt zurücktreten. Und mit dem deutschen Delegationschef bei der UNO-Menschenrechtskommission müßten sich gleich alle Beamten und Diplomaten verabschieden, die sich im Bonner Auswärtigen Amt oder in manchen Auslandsbotschaften durchaus ernsthaft für eine stärker an Menschenrechten orientierte deutsche Außenpolitik einsetzen. Denn jede politische Rolle — und sei ihr Träger persönlich noch so sehr für die Sache engagiert — wird zum verlogenen Alibi, wenn die Rahmenbedingungen, unter denen diese Rolle ausgeübt wird, den behaupteten Zielen diametral entgegenstehen.
So mancher Beobachter der Bonner „Menschenrechtspolitik“ in der UNO und anderen multilateralen Institutionen sah diesen Punkt in den letzten Jahren schon mehrfach längst erreicht. Mit den jüngsten Weichenstellungen in Sachen China ist die Grenze auf jeden Fall überschritten, an der eine menschenrechtsorientierte Politik noch irgendwelche Spielräume gegenüber nackten Wirtschafts- oder geostrategischen Interessen hätte. „Nichts tun, herunterspielen, vergessen und verdrängen“ — diese Charakterisierung der Bonner Haltung gegenüber der katastrophalen Menschenrechtslage in China durch Amnesty-Generalsekretär Volkmar Deile trifft den Nagel auf den Kopf. Wobei China nur der eklatanteste Fall ist. Die Positionen, mit denen die Bundesregierung jetzt bei der Genfer UNO-Tagung zur Türkei oder zu Indonesien/Ost- Timor auftritt, entsprechen einem ähnlichen Muster.
Die Art und Weise, mit der die Bonner Koalition mit China umgeht, ist zugleich ein weiteres Symptom für die große Schwäche von Außenminister Kinkel gegenüber dem Kanzleramt. Sie dürfte die weitere Demontage des ehemaligen FDP-Vorsitzenden und seiner Partei nur noch beschleunigen. Nach ihrem Profilverlust beim Thema Bürger- und Freiheitsrechte, für deren offensive Verteidigung einst auch Gerhart Baum stand, haben die FDP und ihr Noch- Außenminister auch beim Thema Menschenrechte im internationalen Maßstab nichts mehr zu bieten. Damit die Wähler das aber nicht merken, muß Gerhart Baum in seinem Amt bleiben. Zumindest bis zu den „Schicksalswahlen“ am kommenden Sonntag. Andreas Zumach, Genf
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