: Bonn hält Bürger im Funkloch
In der Bundesstadt stehen Mobilfunkanlagen in bedenklicher Nähe zu „sensiblen Einrichtungen“ wie Kindergärten oder Schulen. Stadt und Betreiber halten es nicht für nötig, die Bürger zu informieren
AUS Bonn HENK RAIJER
Mehr als 50 Millionen Menschen in Deutschland besitzen ein Handy – Tendenz steigend. Die Mobilfunknetze werden ständig erweitert. Allein durch den Ausbau der leistungsstärkeren UMTS-Netze wird sich die Zahl der Sendeanlagen demnächst verdoppeln. Bewohner großer Städte sind zunehmend verunsichert durch die Vielzahl von Mobilfunk-Basisstationen. Aufgrund von Medienberichten wächst zugleich die Sorge vor angeblich gesundheitsgefährdenden Mikrowellen. Für Mess- und Beratungsstellen wie den Wissenschaftsladen Bonn gibt es also viel zu tun. Allein in der Bundesstadt wird sich die Zahl der Sendeanlagen von derzeit 400 auf 600 erhöhen.
Liegt der Mobilfunkmast in unmittelbarer Nachbarschaft des Kindergartens, strahlen die Sender in Richtung Schule, ist die Gesundheit der Kinder gefährdet? Die Häufung dieser Fragen hat den Bonner Verein, der 1984 gegründet wurde, um Forschungsergebnisse zu analysieren und sie dann für die Öffentlichkeit verständlich und alltagsnah aufzubereiten, zu einer Untersuchung veranlasst. Wie viele Kindergärten und Grundschulen liegen nah an Mobilfunkanlagen? Wie gut können sich die Bonner über diese Anlagen in ihrer Stadt informieren und inwieweit betreibt die Stadt eine transparente und Vorsorge orientierte Gesundheitspolitik? Das war die Ausgangssituation für den Wissenschaftsladen Bonn, der jetzt seine Ergebnisse vorgestellt hat.
Und die sind kaum dazu angetan, verunsicherte Bürger zu beruhigen. 32 Kindergärten und Grundschulen in Bonn liegen in weniger als jenen 150 Metern Abstand von Mobilfunkanlagen, über dessen Einhaltung die Bundesnetzagentur (bis Juli 2005: Regulierungsbehörde) wachen soll. In der Nordstadt etwa befindet sich gut die Hälfte der bestehenden und geplanten Anlagen in weniger als 100 Meter Entfernung. „Die freiwillige Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber, die ihre Sendeanlagen nicht in der Nähe von sensiblen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten aufbauen wollten, greift schon heute nicht“, moniert Klaus Trost, Elektrosmog-Experte beim Wissenschaftsladen Bonn. Er hält die Grenzwerte, die der Bundesimmissionsschutzverordnung unterliegen, angesichts einer Vielzahl von neuen, möglicherweise gesundheitsgefährdenden Effekten ohnehin für nicht mehr zeitgemäß. Auch Umweltmediziner weisen zunehmend auf Fälle hin, bei denen Gesundheitsstörungen wie Nervosität, Schlafprobleme, Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwächen schon weit unterhalb der geltenden Grenzwerte angenommen werden. „Die Grenzwerte sind viel zu hoch angesetzt“, sagt Trost. „Schon bei 100 Metern Entfernung ist die Strahlenbelastung sehr hoch.“
Wer Näheres wissen will, kann auf die Stadt nicht zählen. Trotz einer Vereinbarung zwischen Kommune und Betreibern (2001), wonach Bürger „zeitnah, sachlich und offen“ über Installationsvorhaben informiert werden sollen, kann von echter Einbindung der Bonner Bevölkerung keine Rede sein. „Sie erhalten von verschiedenen Stellen jeweils nur Teilinformationen, die überdies nicht zusammenpassen“, sagt Brigitte Peter vom Wissenschaftsladen Bonn. Die Datenbank der Stadt verzeichne zwar die Sendeanlagen, es fehlten jedoch neben der exakten Adresse Angaben über Stärke und Strahlrichtung. Und die Datenbank der Bundesnetzagentur weise die Sendemasten oft an völlig falschen Stellen aus. „Was nützt einem das Wissen, in welche Richtung die Sender strahlen, wenn die Masten nicht dort stehen, wo sie verzeichnet sind?“ so Peter, deren Kollegen einen Vergleich tatsächlicher und angeblicher Standorte vornahmen und bei sieben von zwölf Anlagen Abweichungen von 50 bis 200 Metern feststellten.
Kommune und Betreiber müssen weit mehr tun als bisher, um ihren Ansprüchen in Sachen Information und Vorsorge zu genügen, so das Resümee des Wissenschaftsladens. Am 13. September wollen die Experten mit Bürgern und Stadtvertretern über präzise Standortinformation, vorausschauende Standortplanung, Bürgerbeteiligung, Vorsorgeorientierung und die Gesundheitsrisiken intensiver Handynutzung diskutieren. Bonns Grüne haben zum Thema eine Große Anfrage gemacht, die morgen in der Bezirksvertretung Bonn behandelt werden soll.
„Mobilfunk in Bonn: 600 Sendeanlagen und (k)ein Konzept?“ am 13. 9., 19 Uhr, Katholische Hochschulgemeinde Bonn, Schaumburg-Lippe-Str. 6