■ Bonn apart: Eine Eintagsgeschichte
Bonn (taz) – So spannend ist Politik selten: „Frau Schwaetzer – Heulkrampf – Alle Ämter weg“ titelte die Bild-Zeitung am Donnerstag. Für die Schlagzeile „In Bonn geht jetzt das Schlachten los“ blieb das Boulevardblatt zwar alle Belege schuldig. Dafür ermöglichte uns eine Reporterin den aufschlußreichen Blick in das Seelenleben einer deutschen Spitzenpolitikerin im Moment der Niederlage: „Plötzlich knickt sie seelisch ein. Es war zuviel. Irmgard Schwaetzer weint hemmungslos. Udo Philipp umarmt sie fest. Er hat eine Beruhigungstablette dabei.“
Der Ehemann der ausgebildeten Apothekerin und verhinderten Bundestagsvizepräsidentin hatte pharmazeutisch vorgesorgt. Als Bonner Journalist traute er den „Parteifreunden“ aus der NRW–Landesgruppe seiner Gattin offenbar mehr zu als die liberale Politikerin selbst. Abends, so kolportierte die Bild- Zeitung, tröstete sich die auch als Bauministerin zurückgetretene FDP-Politikerin mit profaneren Drogen. Sie enterte eine Berliner Prominentenbar und „spülte ihren Kummer mit Pils hinunter“.
Ist das nun hämisch? Erschütterbarkeit ist wahrlich keine Schwäche. Aber warum geht nur der Absturz der eigenen Karriere an die Nieren? Warum war nie die Schlagzeile zu lesen „Frau Schwaetzer – Heulkrampf – Mieten unbezahlbar“? Warum nie „Minister Laermann – Heulkrampf – Keine Bafög-Erhöhung“? Warum nie „Minister Rexrodt – Heulkrampf – Keine Jobs im Osten“?
Dafür ist wahrlich nicht die Bild-Zeitung verantwortlich. Denn als Bauministerin strahlte die empfindsame Irmgard Schwaetzer nun einmal soviel soziale Sensibilität aus wie ein Immobilienhai. Und Männer heulen in Bonn schon gar nicht öffentlich. Daß Egon Bahr die Hände vors Gesicht schlug und seine Tränen verdeckte, als Willy Brandt nach der Enttarnung des Kanzlerspions Guillaume seine Abschiedsvorstellung in der Fraktion gab, ist mittlerweile zwanzig Jahre her.
Was also ist an Schwaetzers Abgang so spannend, daß die Spezialisten für niedere Instinkte und verbreitete Stimmungslagen bei der Bild-Zeitung zu Hochform aufliefen? Der Einbruch des Unkalkulierbaren? Die reine Schadenfreude? Die offen gezeigten Gefühle in einem sonst gähnend sachlichen Geschäft? Die Menschlichkeit derer, die sich sonst immer zu kontrollieren wissen?
Der Abgang von Irmgard Schwaetzer ist guter Stoff für ein Boulevardblatt, eine Geschichte für einen Tag. Politische Analytiker sind nicht gefordert: Die Niederlage einer Kandidatin im Rennen um ein Staatsamt ist demokratische Normalität. Dramatiker auch nicht: Der Bundestag ist wahrlich keine Shakespeare- Bühne.
„Herr“ Hans Monath
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