■ Bonn apart: Des Rätsels Nutzen
Das schwierigste Rätsel in Bonn lautet bekanntlich: Wird es der Opposition jemals gelingen, Helmut Kohl zu stürzen, bevor er als Bundeskanzler selbst zurücktritt? Weil das Nachdenken über diese Frage mit jedem Tag quälender wird, üben auch Oppositionspolitiker in den sitzungsfreien Wochen schon mal mit dem Sommerrätsel aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung. Dessen Aufgaben gelten einer besessenen Fangemeinde als konkurrenzlos schwerstes deutsches Rätsel.
Zu den ratlos Umgetriebenen, die wochenlang dicke Nachschlagewerke wälzen und am Telefon bei allen möglichen Sachverständigen penetrant Auskunft begehren, gehören auch die bündnisgrünen Abgeordneten Matthias Berninger und Margarete Wolf. Sie machten die Erfahrung, daß die SZ-Fragen in Bonn auch die Arbeitskraft vieler Rätselnder in Ministerien und Bundestagsbüros absorbieren. Prompt schickten sie eine „Kleine Anfrage“ an den Bundestag. Titel: „Volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Konsequenzen informeller Weiterbildung am Arbeitsplatz.“
„Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Arbeitsstunden im gesamten öffentlichen Dienst sowie insbesondere in Bundesministerien und -behörden durch die Mitwirkung zahlreicher hochqualifizierter Bediensteter an diesem Rätsel verlorengehen?“ fragen sie. Wiegt der Nutzen der Weiterbildung durch Rätsel die volkswirtschaftlichen Schäden wieder auf?
Welche Ministerien Stellung nehmen müssen, ist noch offen. Angesprochen ist jedenfalls auch das Auswärtige Amt: Ob der Regierung bekannt sei, daß die US- Botschaft eine Dienstanweisung erlassen habe, wonach telefonische Anfragen zum SZ-Rätsel nicht mehr zu beantworten seien, wollen Berninger und Wolf wissen und fragen besorgt, ob diese Weigerung „zu einer ernsten Belastung des amerikanisch-deutschen Verhältnisses führen kann?“ Oder hat gar die Bonner Regierung „ähnliche Auskunftsverbote erlassen?“
Auch das geistige Vermögen von Beamten interessiert die Parlamentarier: „Welche Lösungen des Sommerrätsels wurden von Bundesbediensteten eingesandt? Wie viele richtige Lösungen befanden sich darunter?“
Auch Berninger hat eigene Lösungen eingeschickt und bangt seither. Stellt sich doch die Frage: Wie steht es um sein „Qualifikationsniveau“, falls sich herausstellt, daß er mit seinen Antworten danebenliegt? Hans Monath
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