■ Bonn apart: Im Abseits
Nach drei Wochen Europameisterschaft könnte es wieder losgehen mit der Arbeit in Bonn. Doch just am Tag nach dem Endspiel am Sonntag beginnt die große parlamentarische Sommerpause. Nun gut, der Bundestag war nicht immer lahmgelegt. Es gab auch spielfreie Tage. Für das Durchpauken des Sparpakets reichte die Zeit, sogar für ein paar eilige Änderungen. Wer weiß, was die Abgeordneten geschafft hätten, wenn sie nicht durch die schönste Nebensache der Welt abgelenkt worden wären. Möglicherweise sogar ein Programm für Wachstum und Beschäftigung statt ein husch, husch gestricktes Sparpaket.
Doch o weh, die Arbeitsmoral in diesen Tagen ließ hochfliegende Pläne nicht zu. Joschka Fischer zum Beispiel: Mit Sonnenbrille, Hemd über der Hose, bequemen Slippern kam er zur Pressekonferenz, lehnte sich breit in seinem Stuhl zurück, zog die Schuhe aus und sagte: „Stellt mir doch mal Fragen zur Europameisterschaft.“
Oder nehmen wir die SPD. Da trifft sich Oskar Lafontaine mit dem Chef der englischen Labour-Partei, Tony Blair. Was passiert? Der Brite beginnt sogleich von „Jurgen Klinsmen“, dem besten Fußballspielers Deutschlands zu schwärmen. „Klinsi“ jubilierten Lafontaine, Günter Verheugen und Heidemarie Wieczorek-Zeul im Chor, ganz so, als ob er Arbeitsplätze herbeigekickt hätte.
Den Vogel schoß der Bundeskanzler ab. Mit sicherem Gespür für werbewirksame Auftritte flog Helmut Kohl zum EM-Spiel Deutschland gegen Italien und tauchte nach dem enttäuschenden Auftritt der Deutschen live im Fernsehen als Tröster der deutschen Jungs auf. Und wer tröstet die Benachteiligten des Sparpakets?
Ich will nicht verschweigen, daß auch wir Journalisten vom Ballfieber profitierten. Wenn die Redaktion meckerte, wieso denn schon wieder nichts Vernünftiges gefaxt wurde, antworteten wir locker: Deutschland hat das Endspiel erreicht. Und dies mußte gefeiert werden. Schade, daß die Spiele morgen zu Ende sind. Aber zum Glück fängt ja dann die Sommerpause an. Markus Franz
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