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Bonn: Die Retter waren Erpresser

■ Die Initiatoren der Evakuierungsaktion von Sarajevo wollten Bonn zur Unterstützung zwingen/ Neue Vorwürfe gegen Abgeordnete/ Vierzig Waisenkinder in Magdeburg eingetroffen

Bonn/Magdeburg (taz/ap/dpa) —Gegen die Verantwortlichen für die tödliche Evakuierungsaktion von Waisen aus Sarajevo sind gestern in Bonn schwere Vorwürfe erhoben worden. Danach soll der Magdeburger Landtagsabgeordnete Jürgen Angelbeck das Bonner Außenministerium unter Druck gesetzt haben, die umstrittene Aktion zu unterstützen, obwohl die zuständigen UN- Stellen sich gegen die Evakuierung ausgesprochen hatten. Nachdem Angelbecks Bemühungen bei der Bundesregierung nichts fruchteten, habe er am 23. Juli ein Telefax an Außenminister Kinkel gesandt, in dem er mit einer Presseveröffentlichung drohte. Tenor: „Bundesminister wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.“

Das Auswärtige Amt hatte sich bereits nach den ersten Anfragen nach Hife bei der Evakuierung auf dem Luftweg an den hohen Flüchtlingskommissar der UNO gewandt. Der hatte die Zustimmung der Aktion wegen der angespannten Sicherheitslage in Sarajewo kategorisch abgelehnt.

Von einem ersten Besuch in der zweiten Juli-Woche in Sarajevo kehrte Angelbeck ergebnislos zurück, da ihn die UNO-Beamten am Flughafen nicht einreisen ließen. Angelbeck soll anschließend in einem Telefongespräch mit dem Auswärtigen Amt zugegeben haben, daß die angelaufene Aktion nicht mehr abgebrochen werden könne. Begründung: Die zahlreichen freien Waisenkinderplätze in Sachsen-Anhalt müßten belegt werden, um öffentliche Gelder zu erhalten. Das Auswärtige Amt war über die schließlich auf dem Landweg nach Split unternommene Evakuierung, in deren Verlauf zwei kleine Kinder von Heckenschützen erschossen worden waren, nicht im einzelnen informiert. Erst am Donnerstag letzter Woche wurden Auswärtiges Amt und Innenministerium vom Sozialministerium in Magdeburg in Kenntnis gesetzt worden, die Kinder seien vor Split und in äußerst schlechtem Gesundheitszustand. Die Bitte um Transport durch die Bundeswehr und um Einreisegenehmigungen für die Bundesrepublik lehnte das Bundesinnenministerium aber ebenfalls mit Hinweis auf die Haltung der UNO ab. Sowohl das Sozialministerium in Magdeburg als auch Angelbeck und sein Kollege Karsten Knolle (CDU) seien von Bonn auf den Umstand hingewiesen worden, daß eine Freigabe der Kinder seitens der Regierung von Bosnien nicht vorliege. Es sei nicht sichergestellt, daß es sich wirklich um Waisenkinder handele.

Unterdessen ging gestern für 40 Kinder aus dem Waisenhaus von Sarajevo die Odyssee zuende. Mit Krankenwagen wurden die Kinder nach ihrer Ankunft in drei Magdeburger Heime gebracht. Mehrere Kinder mußten am Nachmittag mit akuten Schocksymptomen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Aus ganz Deutschland gehen in Magdeburg Angebote von Familien ein, die eines der Kinder adoptieren oder als Pflegekind aufnehmen wollen. Angebote, auf die das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt nicht zurückgreifen kann. Denn die bosnische und die kroatische Regierung haben der Evakuierung der Waisen nur unter der Bedingung zugestimmt, daß die Kinder in Heimen untergebracht und nach Ende des Bürgerkriegs in ihre Heimat zurückgebracht werden.

In einer Pressekonferenz wiesen Knolle und Angelbeck alle Kritik an der Aktion, insbesondere die Verantwortung am Tod der beiden Babys, zurück. Sie seien an der Aktion innerhalb Sarajevos nicht beteiligt gewesen, sondern hätten absprachegemäß in einem nicht umkämpften Vorort auf die Übergabe der Kinder gewartet. Für die Evakuierung innerhalb Sarajevos seien ausschließlich örtliche Hilfsorganisationen zuständig gewesen, die Knolle aber namentlich nicht nennen wollte.

Schwere Vorwürfe richteten die CDU-Abgeordneten an die Adresse der UNO. Von dort sei keinerlei Hilfe gekommen. Sie hätten sich vergeblich um zwei gepanzerte Fahrzeuge bemüht. Knolle warf Bundesaußenminister Klaus Kinkel vor, die Aktion nicht genügend unterstützt zu haben. Kinkel habe sie zunächst zu dem Transport ermuntert und erst dann davon abgeraten, nachdem die UNO keine Unterstützung zugesichert habe. Diese Darstellung wurde vom Auswärtigen Amt dementiert. Auch der Vertreter des UNO-Flüchtlingskommissars (UNHCR) in Deutschland wies die Vorwürfe der Abgeordneten gestern zurück. Knolle habe zwar bei der UNO angefragt, diese habe aber niemals ihre Zustimmung zu einer solchen Aktion gegeben. Der Transport sei völlig „in Unkenntnis der UNO-Schutztruppen und der Mitarbeiter des UNHCR vor Ort erfolgt“.

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