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Bombengeschäfte im bösen Westen

Die Rufe nach einem Lieferstopp von russischem Gas und Öl mehren sich. Vernachlässigt wird dabei, dass Moskau auch die Energieversorgung hierzulande und damit die kritische Infrastruktur mitkontrolliert. Der staatliche Ölkonzern Rosneft hält Anteile an den größten Raffinerien Deutschlands – und verdient prächtig an hohen Spritpreisen.

Der russische Staatskonzern ­Rosneft hält 24 Prozent der Aktien an Deutschlands größter Raffinerie, der MiRO in Karlsruhe. Foto: Gustavo Alàbiso

Von Jürgen Lessat↓

„Das ist der Anfang vom Ende Putins“, prognostizierte die Journalistin Anja Kohl, als sie vergangene Woche zu Gast bei Sandra Maischberger in der ARD war. Denn Russland sei als Land darauf angewiesen, fast alle Waren und Güter zu importieren – und stehe aktuell vor extremen Schwierigkeiten, an diese zu kommen. Das einzige, was Russlands Wirtschaft derzeit noch am Leben halte, erläuterte Kohl weiter, seien die Einnahmen aus Öl und Gas, bezahlt in harten Dollar und Euro. Damit finanziere das Land nicht nur den Krieg, sondern – was kriegsentscheidender sei – auch seine verbliebenen Importe.

Einer der wichtigsten Kunden bleibt dabei die Bundesrepublik. Allein im vergangenen Dezember importierte Deutschland mehr als 2,5 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland, wie die Zahlen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zeigen. Das waren rund 34 Prozent der gesamten Ölimporte. Für das schwarze Gold, das vor allem über die Drushba-Pipeline (zu deutsch: Freundschaftsleitung) von den Ölfeldern im Ural über Belarus und Polen bis ins brandenburgische Schwedt an der Oder fließt, bezahlte Deutschland knapp 1,15 Milliarden Euro.

Was in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt wird: Russland exportiert nicht nur fossile Rohstoffe nach Deutschland. Die größten russischen Staatskonzerne kontrollieren hierzulande auch Verteilung, Verarbeitung und Handel der klimaschädlichen Energieträger. Indirekt sitzt Putin damit an den wichtigsten Schalthebeln kritischer Infrastruktur hierzu­lande. So ist der russische Ölkonzern Rosneft das drittgrößte Unternehmen in der Mineralölverarbeitung und einer der wichtigsten Großhändler in Deutschland. In den vergangenen drei Jahren lief nicht nur rund ein Viertel der Rohölimporte über das Unternehmen. Die Tochtergesellschaft Rosneft Deutschland GmbH ist sowohl für Belieferung von Raffinerien mit Rohöl verantwortlich als auch für den Vertrieb der Mineralölprodukte.

Bei den großen Raffinerien ist Rosneft dabei

Inzwischen hält Rosneft Anteile an den wichtigsten Rohöl-Verarbeitern im Land. So etwa an der Mineralölraffinerie Oberrhein (MiRO) in Karlsruhe. 24 Prozent besitzt der russische Konzern an der größten Raffinerie Deutschlands, die zu einer der modernsten und leistungsfähigsten in Europa zählt. Für ihre Gesellschafter, zu denen neben Rosneft die niederländisch-britische Shell (32,25 Prozent Anteil) sowie die US-Konzerne Exxon (25 Prozent) und Conoco Phillips (18,78 Prozent) gehören, veredeln 1.100 MitarbeiterInnen Rohöl zu hochwertigen Mineralölprodukten wie Benzin, Diesel, Heizöl, Propylen und Bitumen. Das Tanklager der MiRO ist das größte bundesweit. „Dadurch können wir Verbrauchsschwankungen problemlos ausgleichen und die Verbraucher jederzeit mit den wichtigsten Mineralölprodukten versorgen“, verspricht die Raffinerie im Internet. Für den Südwesten Deutschlands ist sie die wichtigste Versorgungsquelle für Mineralölprodukte.

Zudem ist Rosneft auch in Bayern vertreten. Mit einem Anteil von 28,57 Prozent gehört der Konzern zum zweitgrößten Gesellschafter der Bayernoil GmbH mit Sitz in Neustadt an der Donau. Die Mehrheit an dem Unternehmen, das jährlich 10,3 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet, besitzt mit 51,43 Prozent die VARO Energy, die ein Joint Venture der holländischen Vitol-Gruppe und des US-Unternehmens Carlyle Group ist. Dritter im Gesellschafterkreis ist die deutsche Tochter des italienischen Energiekonzerns Eni, die 20 Prozent an der Bayernoil hält.

Die größte Investition von Rosneft hierzulande steht in Ostdeutschland: PCK. Die Raffinerie in Schwedt an der Oder stellte bereits die Erdölversorgung der DDR sicher. PCK stand für Petrolchemisches Kombinat. Heute hält die deutsche Rosneft-Tochter 37,5 Prozent an der zweitgrößten Raffinerie Deutschlands. Sie beschäftigt rund 1.300 Menschen direkt sowie 2.000 weitere bei Zulieferfirmen. Direkt an der Raffinerie endet der 5.327 Kilometer lange Nordstrang der Druschba-Pipeline. Berlin und Branden­burg sind damit hochgradig abhängig vom russischen Staatskonzern, auch wenn die Shell Deutschland GmbH derzeit noch einen gleich großen Anteil an der PCK besitzt. Allerdings ist der drittgrößte Anteilseigner die AET Raffinerie­betei­li­gungs-Gesellschaft mbH – ein Gemeinschaftsunternehmen der Rosneft Refining & Marketing GmbH und der italienischen Eni. Somit steht die Mehrheit der Aktien unter direktem russischen Einfluss.

Kartellamt: „Keine wettbe­werbs­rechtlichen Bedenken“

Seit kurzem versucht Rosneft, die PCK vollständig zu übernehmen. Gelegenheit dazu bot sich im vergangenen Juli, als die Verkaufsabsicht des Miteigentümers Shell bekannt wurde. Der niederländisch-britische Ölkonzern will sein Raffinerieportfolio zurückfahren, um bis 2050 ein klimaneutrales Energieunternehmen zu werden. Als Kaufinteressent stand damals die österreichische Alcmene GmbH parat, die zur Liwathon-Group gehört. Die estnische Energieholding gilt als größter unabhängiger Terminalbetreiber für Ölprodukte im Ostseeraum.

Doch der Deal scheiterte. Rosneft übte im vergangenen November sein Vorkaufsrecht aus, um dann 91,67 Prozent der PCK-Aktien zu kontrollieren. „Die Erhöhung des Anteils an der PCK Raffinerie ist ein Beweis für die strategische Bedeutung, die der deutsche Markt für Rosneft besitzt“, erklärte dazu offen Rosnefts Vorstandschef Igor Setschin.

Der Kauf unterlag der Zustimmung des Bundeskartellamts, das das Vorhaben der Russen prüfte. Am 21. Februar gab die Bonner Behörde, die zum Geschäfts­bereich von Wirtschafts- und Klima­minister Robert Habeck (Grüne) gehört, ihr Plazet. Weil „dem Kauf keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken entgegengestanden hätten“, begründete ein Behördensprecher damals die Entscheidung. Drei Tage später überfielen russische Truppen die ­Ukraine.

Dies ließ offenbar die Alarmglocken im Bundeswirtschaftsministerium schrillen: Keine 24 Stunden nach Beginn des Angriffskriegs ließ Wirtschaftsminister Habeck ein Investitionsprüfverfahren einleiten. Mit einem ähnlichen Schachzug hatte sein Ministerium wenige Tage zuvor nach Putins Anerkennung der abtrünnigen Donbas-Republiken die Inbetriebnahme der russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt. Nun prüft erneut das Bundeskartellamt, ob der beabsichtige Erwerb der PCK-Anteile durch Rosneft die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet. Auf Kontext-Anfrage teilt Habecks Pressesprecher nur mit, dass man sich „aus Gründen des Datenschutzes nicht zu laufenden oder möglicherweise in Aussicht stehenden Investitionsprüfverfahren“ äußere.

Nato-Flugzeuge tanken Treibstoff von Rosneft

Sollte Russlands Staatspräsident Putin auf die Sanktionen des Westens mit Gegenmaßnahmen reagieren, könnte die deutsche Rosneft-Tochter dennoch Teile der kritischen Infrastruktur lahmlegen. Konkret den Flugbetrieb. Denn seit 2019 verkauft der Konzern hierzulande auch eigenes Flugbenzin. Einer der Hauptabnehmer war bislang die russische Staatsfluglinie Aeroflot am Flughafen in Berlin-Schönefeld. Vor dem EU-Flugverbot betankte Rosneft jeden dritten Passagierlinienflug ab Berlin. Daneben versorgt das Unternehmen über die Dienstleisterfirma Skytanking die Flughäfen in München, Nürnberg und Stuttgart mit dem sogenannten Jet A-1-Treibstoff.

Ironie des Krieges: Am 4. März starte­ten vom Stuttgarter Flughafen drei ukrai­nische Frachtmaschinen des Typs Anto­nov An-32P mit dringend benötigten Material für Feuerwehren und Katastrophenschutz in das Kriegsgebiet – vollgetankt mit Kerosin vom russischen Staatskonzern Rosneft. Aber auch aus militärischer Sicht bereitet das Flugbenzin von Rosneft Unbehagen. Mit dem besonders hochwertigen Jet A-1-Treibstoff werden auch Nato-Flugzeuge betankt. Aufklärungs- und Tankflugzeuge überwachen derzeit rund um die Uhr den ukrainischen Luftraum von den benachbarten Nato-Staaten aus.

Trotz der immer brutaleren Angriffe Russlands auf die Ukraine und den Rufen nach einem Gas- und Ölimportstopp: Bis heute veredeln Raffinerien mit Rosneft-Beteiligung weiter russisches Rohöl zu Benzin und Diesel. Laut dem Portal Benzinpreis.de verdienten sich das russische Staatsunternehmen und andere Ölkonzerne damit seit Beginn des Ukraine-Krieges eine goldene Nase. Die Gewinnmarge erreichte am 16. März mit 61,62 Cent pro Liter Superbenzin ein Rekordniveau. Mit 75,66 Cent lag der Überschuss nach Rohöl und Steuern beim Diesel sogar noch höher. „Es darf nicht sein, dass Unternehmen aus der jetzigen Situation unangemessene Gewinne schlagen“, sagte Habeck und drohte gesetzliche Regulierungen an, falls Prüfungen Preisabsprachen der Konzerne aufdecken.

Das wäre zumindest besser als ein Tankrabatt, den Christian Lindner (FDP) will. Dem Bundesfinanzminister schwebt eine Preisobergrenze von zwei Euro für den Liter Sprit vor. Die Differenz zu höhe­ren Marktpreisen würde der Staat AutofahrerInnen an der Tankstellenkasse erstatten. Das hätte allerdings zwei gravierende Nachteile: 10 Cent Rabatt würden die Staatskasse monatlich 550 Millionen Euro kosten – und der russische Konzern Rosneft machte weiter ein Bombengeschäft.

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