Bombenfund am 1. Mai: Viel Raum für Spekulationen
Die linke Szene glaubt nicht, dass die Rohrbomben aus der 18-Uhr-Demo kamen. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen und baut die Bomben nach, um sie zu testen
In der linken Szene herrscht große Skepsis über den Ursprung der Rohrbombenfunde auf der 18-Uhr-Demonstration am 1. Mai: Als „völlig abwegig“ bezeichnen es die Demo-Organisatoren, dass der Sprengsatz von Teilnehmern des Aufzugs kam. Auch die Polizei ermittelt noch in andere Richtungen.
Am Montag hatte die Behörde bekannt gegeben, dass Beamte am 1. Mai auf der Wegstrecke der 18-Uhr-Demo drei 40 Zentimeter lange Metallrohre gefunden hatten, zwei auf der Oranien-, eine auf der Markgrafenstraße. Diese waren mit einem Chlorat-Zucker-Gemisch gefüllt und mit einer Lunte versehen, aber ungezündet. Für Jonas Schiesser vom Demo-Bündnis ist es „ausgeschlossen“, dass die Rohre aus dem Aufzug kamen. Es sei undenkbar, dass Teilnehmer Polizisten und letztlich auch Mitdemonstranten mit Sprengsätzen hätten verletzen wollen, so Schiesser. „Es geht am 1. Mai um politische Ziele, nicht um militärische Auseinandersetzung.“
Auch Lars Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin sieht „keinerlei Anzeichen“, die Rohrbomben „den Demo-Leuten in die Schuhe zu schieben“. Man sollte „alles in Betracht ziehen“. Da habe jemand ohne gesunden Menschenverstand gehandelt, so Laumeyer. Zudem lasse es viele Fragen offen, dass die Polizei erst knapp eine Woche nach dem Fund die Sprengsätze präsentiere.
Bei der Polizei fehlten auch am Dienstag Hinweise auf die Täter. Zeugenaufrufe liefen bisher ins Leere. Sprecher Stefan Redlich betonte, dass offen ermittelt werde, wem die Sprengsätze gegolten hätten. Dass die Polizei die Zündsätze selbst deponiert haben könnte, wie manche Linke vermuten, nannte Redlich „vollkommen absurd“.
Die Polizei baut derzeit die Rohrbomben nach, um diese auf dem Sprengplatz Grunewald auf ihre Zündfähigkeit zu testen. Bisher wird wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Erweisen sich die Rohre als explosionsfähig, lautet der Vorwurf Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens. Dafür drohen bis zu fünf Jahre Haft. Spekulationen, dass sich die Bundesanwaltschaft in die Ermittlungen einklinken könnte, widersprach Redlich. Dies werde, wenn überhaupt, geprüft, wenn die Sprengfähigkeit geklärt sei.
In der linken Szene erfreut sich Pyrotechnik auf Demonstrationen zunehmender Beliebtheit. Diese, so Laumeyer, seien aber „eher ein Stimmungsinstrument“. Auch auf der 18-Uhr-Demo wurden wiederholt Böller gezündet, vorm Springer-Verlagshaus auch eine Rauchbombe. Für Aufsehen sorgte im Juni 2010 eine vermeintliche „Splitterbombe“ auf einer Berliner Krisendemo. Diese entpuppte sich aber als Pyrotechnik. Rohrbomben auf einer linken Demo gab es bisher nicht.
In der Szene wird eher eine Attacke von Außenstehenden auf die Demonstration vermutet. „Das“, so Laumeyer, „wäre ganz schön krass, aber plausibler.“ Er verweist auf das Jahr 2000, als ein 39-Jähriger mit einem Attentat auf die Luxemburg-Liebknecht-Demo drohte. Am 1. Mai vor zwei Jahren trugen zwei Neonazis bei einem Aufmarsch an der Bornholmer Straße sechs Kleinsprengsätze mit Glassplittern bei sich. Sie wurden zu je zwei Jahren Haft verurteilt.
Der Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke sagte, für ihn sei „nicht vorstellbar“, dass Gesinnungsgenossen hinter den Taten steckten, „zumindest nicht aus Berlin“.
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