Bombenentschärfung in Koblenz: Die halbe Stadt muss raus

Am Wochenende findet die bislang größte Evakuierung wegen einer Bombenentschärfung statt. 45.000 Menschen müssen ihre Häuser verlassen und sogar ein Gefängnis wird geräumt.

Übermannsgroß: Ein Exponat der Wehrtechnischen Studiensammlung in Koblenz, das der entdeckten Bombe entspricht. Bild: dpa

KOBLENZ dpa | Sie ist drei Meter lang, wiegt 1,8 Tonnen und wird am Sonntag weite Teile von Koblenz lahmlegen - die Fliegerbombe im Rhein, die wie so viele andere Blindgänger wegen des Niedrigwassers zutage trat. Am 4. Dezember soll der britische Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden, ebenso wie eine kleinere US-Bombe und ein Nebelfass. Für die Behörden eine organisatorische Herkulesaufgabe. Sie müssen die bislang größte Evakuierung wegen einer Bombenentschärfung nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland auf die Beine stellen.

Schon die blanken Zahlen des Einsatzes beeindrucken: Rund 45.000 der etwa 106.000 Einwohner von Koblenz müssen ihre Häuser verlassen. Ein Gefängnis, sieben Altenheime und zwei Kliniken werden geräumt. Derzeit loten Experten aus, wie viele Rettungskräfte gebraucht werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz etwa plant bislang für das Wochenende mit mehr als 350 Fahrzeugen, mehr als 900 ehrenamtliche Helfer werden mit anpacken.

Fast zwei Kilometer Sperrzone

Während des Zweiten Weltkrieges fielen Millionen Bomben auf Deutschland. Jahrzehnte später liegen noch Zehntausende von Blindgängern im Erdreich und müssen von Spezialisten entsorgt werden.

Oktober 2011: Nach dem Fund eines Blindgängers wird die Innenstadt von Halle in Sachsen-Anhalt komplett evakuiert. Etwa 20 000 Menschen sind betroffen, darunter 1.000 Patienten und Mitarbeiter einer Klinik. 700 Helfer sind im Einsatz.

Januar 2011: 11.500 Menschen müssen ihre Wohnungen in Hannover verlassen, weil zwei Blindgänger entschärft oder gesprengt werden. Die Autobahn 2 und die Bahnstrecke bei Hannover werden gesperrt.

Dezember 2005: Mit einer kontrollierten Sprengung wird im Zentrum Berlins eine britische 500-Kilo-Bombe unschädlich gemacht. Bauarbeiter hatten sie auf dem Boulevard "Unter den Linden" entdeckt. Straßensperrungen verursachen ein Verkehrschaos.

Mai 2002: Spezialisten machen eine britische 1.900-Kilo-Bombe im Berliner Stadtteil Köpenick unschädlich. Mehr als 1.000 Bewohner im Umkreis von 500 Metern sind betroffen. Die im Volksmund "Wohnblockknacker" genannte Bombe enthält 1,3 Tonnen Sprengstoff.

Dezember 1997: Eine der bundesweit größten Evakuierungen seit dem Zweiten Weltkrieg beginnt in Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz. 26.000 Menschen müssen ihre Häuser verlassen. Auch ein Krankenhaus wird geräumt. Die 40-Zentner-Bombe liegt rund 200 Meter entfernt von einer Fabrik, in der Trink- und Industriealkohol hergestellt wird. (dpa)

Die Stadt ließ 40.000 Handzettel drucken mit Tipps für Anwohner. Mitarbeiter des Ordnungsamtes klappern seit Dienstag die Briefkästen in der Sperrzone im Umkreis von 1,8 Kilometern zur Bombe ab, wie Stadtsprecher Thomas Knaak sagt. Man solle die Wohnung abschließen und möglichst die Rollläden herunterlassen, ist auf dem Zettel zu lesen. Auch sei an Medikamente, Babynahrung oder Ersatzkleidung zu denken.

Besonders aufwendig ist die Räumung des Gefängnisses, rund 200 Häftlinge werden umziehen. Los geht es mit den ersten Fahrten in andere Haftanstalten des Landes am Freitag, sagt Leiter Josef Maldener. Die rund 80 Kilometer entfernte Justizvollzugsanstalt Rohrbach in Wöllstein hilft mit Bussen aus.

Mühe mache die Logistik, aber auch Sicherheitsaspekte, erklärt Maldener. "Wir haben zum Beispiel die Tätertrennung zu beachten." Wenn es sich um "Tatgenossen" handele, müssten die Häftlinge getrennt bleiben. "Außerdem können wir keinen Häftling in den Süden des Landes bringen, der am Montag einen Termin in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat."

"Nicht in Katastrophenmedizin abdriften"

Aus zwei Krankenhäusern müssen laut Feuerwehr etwa 200 Patienten verlegt werden. "Hier gibt es sehr viele Feinheiten zu beachten", sagt der Arzt Karl Heinz Kienle. Er war bei früheren Evakuierungen in Koblenz leitender Notarzt der Einsatzleitung. "Oberstes Ziel ist es, trotz der Umstände nicht in die Katastrophenmedizin abzudriften."

Nicht jeder Patient könne in jedes beliebige Krankenhaus gebracht werden, sagt Kienle. "Sie können eine Dialyse-Abteilung nicht in ein Krankenhaus verlegen, das mit dieser Behandlung keine Erfahrung hat." Problematisch sei auch der Transport von Patienten der Intensivstation. "Diese Transporte müssen Vorrang auf den Straßen haben, damit es bei der Fahrt möglichst keine Erschütterungen gibt."

Im Fall von schwer demenzkranken Menschen müssen bei einer Verlegung vertraute Personen dabei sein, weiß Kienle. "Das ist wie bei einem kleinen Kind, das Angst hat." Darüber hinaus sei wegen Keimen Vorsicht geboten. Fahrzeuge, die Patienten mit dem sogenannten multiresistenten Keim transportierten, dürften anschließend nicht mehr im regulären Betrieb eingesetzt werden und müssten zur Desinfektion 24 Stunden stillgelegt werden.

Um die Fliegerbombe wegzuschaffen musste außerdem eine spezielle Greifvorrichtung gebaut worden. Erledigt hat diesen außergewöhnlichen Auftrag die Stahlbaufirma Schultheis aus Koblenz. "So was haben wir noch nie gefertigt", sagt Schlossermeister Jan Schultheis. Kürzlich stand die Feuerwehr bei der Firma vor der Tür, im Gepäck eine vor Jahren entschärfte Bombe des gleichen Typs. Dann wurde gemessen, getüftelt und gebaut. Da die Klemmen passgenau gefertigt sind, kommen sie nur dieses eine Mal zum Einsatz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.