Börsenchef tritt zurück: Vorwurf Insiderhandel
Carsten Kengeter gibt auf. Er soll mit persönlichen Aktienkäufen von der Fusion mit der Londoner Börse profitiert haben.
Der 50-jährige Investmentbanker aus Schwaben war lange ein Überflieger. 1992 stieg er ins Derivategeschäft von Barclays ein. 1997 wechselte er nach New York zu Goldman Sachs. Selbst die Finanzkrise konnte ihm nichts anhaben. 2008 stieg er zum Vorstandsmitglied bei der Schweizer Großbank UBS in Zürich auf.
Bei der UBS erlebte Kengeter den ersten Karriereknick: In seinem Zuständigkeitsbereich produzierte ein Derivatehändler einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar. Kengeter war zwar nicht direkt verantwortlich, aber die UBS begann, ihr Investmentbanking abzubauen. Kengeter wurde überflüssig und verließ die Bank im Sommer 2013.
Im Sommer 2015 tauchte er wieder auf – als Chef der Deutschen Börse. Dort erklärte man: „Wir wollten, dass der Kandidat entweder einen deutschen Pass hat oder zumindest der deutschen Sprache mächtig ist.“ Kengeter sei „ein Ausnahmetalent“.
Talent mit zu vielen Aktien
Dieses „Ausnahmetalent“ verwickelte sich jedoch schnell in einen Skandal, der ihm jetzt zum Verhängnis wurde. Schon im Sommer 2015 begannen Fusionsgespräche der Deutschen Börse mit der Londoner Börse LSE, im Oktober 2015 wurde eine Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums eingeholt. Nur die Öffentlichkeit und die Aktionäre erfuhren nichts von diesen Plänen.
Stattdessen kaufte Kengeter im Dezember 2015 für 4,5 Millionen Euro Aktien der Deutschen Börse, die er frühestens Ende 2019 veräußern darf. Hinzu kam ein „virtuelles“ Aktienpaket, das der Konzern obendrauf legte und das am Ende viele Millionen Euro wert sein dürfte.
Erst im Februar 2016 wurde öffentlich, dass die Fusion mit der LSE geplant ist. Der Aktienkurs der Deutschen Börse schoss in die Höhe, was Kengeter nicht überrascht haben dürfte. Seit Februar 2017 ermittelt daher die Staatsanwaltschaft in Frankfurt, ob ein „Insiderhandel“ vorliegt.
Kengeter beteuerte seine Unschuld. Es sei seine „moralische Pflicht“ gewesen, die Aktien des eigenen Unternehmens zu kaufen: Sonst hätte es wie ein Misstrauensvotum gegen die Deutsche Börse ausgesehen.
Gericht kippt Deal mit Staatsanwälten
Um die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen, war die Börse bereit, zwei Geldbußen von insgesamt 10,5 Millionen Euro zu akzeptieren. Außerdem sollte Kengeter 500.000 Euro aus seinem Privatvermögen zahlen.
Diesen Deal mit den Staatsanwälten hatte eine Amtsrichterin in Frankfurt gekippt: Die Ermittlungen gegen Kengeter werden fortgesetzt. Das Verfahren habe eine zu hohe öffentliche Bedeutung, um eingestellt zu werden.
Daraus folgt zwar nicht automatisch, dass der Börsenchef angeklagt wird. Es bleibt denkbar, dass die Ermittlungen eingestellt werden.
Für Kengeter jedoch wurde die Zeit knapp: Sein Vertrag sollte am 31. März 2018 auslaufen – und die Deutsche Börse wollte ihn nur verlängern, wenn bis dahin alle Ermittlungsverfahren abgeschlossen sind.
Solange hat der Börsenchef nicht gewartet. Kengeter habe den Aufsichtsrat am Donnerstag über seine Absichten informiert, teilte die Deutsche Börse mit. Der Aufsichstrat habe das Rücktrittsgesuch „mit großem Bedauern akzeptiert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen