: Bodenspekulation ist... „nicht schlimmer als Kaviar verkaufen“
■ Bei der Kreuzberger Diskussion um die Thesen von Städteplaner Hoffmann-Axthelm zum Potsdamer Platz flogen die Fetzen
Kreuzberg. „Verräter“, schreit Bürger Schulz und springt auf. Die Menge tobt. „Du warst doch früher auch für Grün und jetzt fällst du uns in den Rücken“, brüllt der stämmige Kreuzberger weiter. „Dein Gerede geht voll an den Kreuzberger Realitäten vorbei“, ruft ein anderer Zuhörer. Dieter Hoffmann-Axthelm, Kreuzberger Stadtplaner, verteidigt blaß, tapfer und wenig erfolgreich seine provokanten Thesen zum Potsdamer Platz (siehe taz-Serie) gegen eine empörtes Publikum Freitag abend im U-Bahnhof Schlesischen Tor. Die AL habe sich, so Hoffmann-Axthelm, das Ja zu Daimler abkaufen lassen durch das Zugeständnis, daneben den Park der Bundesgartenschau zu pflanzen. Aber sowohl Daimler wie auch die Buga seien nach dem 9. November diesem historischen Ort nicht mehr angemessen. Gegen ihn argumentiert ein fortwährend beleidigt dreinblickender Hendrik Gottfriedsen, Geschäftsführer der geplanten Buga - oder vielmehr das, was davon übrig bleiben wird. „Der Buga-Park hat mit Daimler nichts zu tun, das wurde schon vor Jahren beschlossen“, sagt er und kriegt deutlich lautere Zustimmung.
Daß sich ein an sich fortschrittlicher Stadtplaner wie Hoffmann-Axthelm in die Phalanx der Metropolen- und Verdichtungsplaner einreiht, trifft einen empfindlichen Nerv der linken Fachöffentlichkeit. Und Hoffmann-Axthelm tritt notgedrungen die Flucht nach vorne an. „Es ist idiotisch, daß man hier jeden Bahnhof abreißt, um Parks anzulegen: Den Anhalter Bahnhof, den Görlitzer Bahnhof, das muß aufhören“, sagt er - und: Die Grundstücke in der alten neuen Mitte müßten kleinteilig an viele einzelne Investoren vergeben werden. „Das hat in Kreuzberg auch nichts genutzt, da gab es eben dann viele kleine Bodenspekulanten“, heißt es daraufhin. „Was habt ihr denn gegen Bodenspekulanten? Das ist ein Geschäft wie jedes andere, auch nicht schlimmer, als Kaviar zu verkaufen“, kämpft Axthelm gegen Zwischenrufe von „Blödsinn“ bis „Aufhören“ an und setzt noch eins drauf: Es gebe in der Berliner Innenstadt genug Grün. Zur Stadt gehöre Schmutz, Schornsteine, Industrie, Autos und Straßen. „Wer Angst vor der Stadt hat, muß woanders wohnen.“ Die Grünschneisen seien im 19. Jahrhundert angelegt worden, um die Cholera zu bekämpfen, das sei heute nicht mehr nötig. Und Stadtfeindlichkeit, das sei schlimmer als Grünfeindlichkeit, die stecke zum Beispiel in der Sozialdemokratie und deren Wohnreformbewegung, die die Hochhäuser draußen im Grünen geplant habe, aber auch in den Konservativen und den Stadtplanern der NS-Zeit. „Wir leben nicht mehr im 19.Jahrhundert“, meinte die Kreuzbergerin Anette Ahme. Dreckige Fabrikschornsteine seien heutzutage nichts Unvermeidbares mehr und Grünflächen inzwischen aus anderen Gründen wichtig.
„Wir vertun die Zeit mit der Diskussion von Scheinproblemen“, platzte einem Stadtplaner schließlich der Kragen, „und Daimler und andere Interessenten schaffen Realitäten. Und wenn wir dagegen keine Strategien entwickeln, brauchen wir über mehr oder weniger Grün nicht mehr zu reden.“ Dem Beifall - neuer Phonrekord - folgen keine Taten. Daimler wird kommen, während sich die linken Stadtplaner über den Sinn von Parks in der Innenstadt streiten.
Eva Schweitzer
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