■ Blühender Aberglaube im 20. Jahrhundert: Mit dem Besen gegen Sinti und Roma
Rotenburg/Sümme (taz) – „Der aufrecht gestellte Reisigbesen vor der Haustür bietet nach einem alten Aberglauben jedem ordentlichen Haushalt Schutz vor Hexen, Druden und schließlich vor lästigen Gästen, so Zigeunern“, heißt es im Lexikon. In den niedersächsischen Landkreisen Rotenburg und Verden feiert dieser Aberglaube seit der Vorweihnachtszeit wieder fröhliche Urständ.
Im Städtchen Achim postierten Ende November gleich mehrere Geschäftsleute einen umgedrehten Besen vor ihrer Ladentür, um sich vor lästigen Kunden zu schützen. „Seit drei Wochen habe ich den Reisigbesen vor dem Eingang, und es funktioniert“, freut sich die Inhaberin einer Drogerie gegenüber Reportern. Zuvor nämlich seien „immer wieder“ rumänische Asylbewerber in ihr Geschäft „eingedrungen“ und hätten sich in dessen hinterem Teil zu schaffen gemacht. „Ich mußte einfach etwas unternehmen.“ Ein Modehaus in der Achimer Fußgängerzone entfernte seinen Besen vor der Tür nach wenigen Tagen wieder – der Zauber funktionierte hier nämlich nicht. Sinti und Roma, so der Geschäftsführer, kamen weiterhin „in großen Gruppen“ in den Laden. Weggekommen sei zwar noch nichts, „aber sie versuchen immer wieder, uns abzulenken“. Auch das Ordnungsamt des Landkreises Rotenburg, zuständig immerhin für AsylbewerberInnen und AusländerInnen, wappnete sich vorübergehend mit einem umgekehrten Besen gegen etwaige unerwünschte Besucher. Erst als eine Lokalzeitung den Fall trotz der Drohungen des Amtsleiters mit Entzug von Informationen publizierte, verschwand das Fegegerät. Der Besen, so die offizielle Begründung, stand ohnehin nur deswegen im Flur, um ihn zum Reinigen des Hofes jederzeit griffbereit zu haben. Die Rotenburger Affäre hat eventuell ein juristisches Nachspiel. Eine Ortsgruppe der Grünen im Landkreis hat Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Die Staatsanwaltschaft solle prüfen, „ob die Tatbestände einer möglichen Volksverhetzung und einer möglichen Beleidigung gegeben sind“. Reimar Paul
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