Blogger über Tripolis: „Bye bye Gaddafi“
Mission erfüllt? Von wegen! Auch nach der Einnahme großer Teile von Tripolis sehen internationale Blogger die wahren Probleme erst noch kommen.
Tripolis fällt, Gaddafi soll auf der Flucht sein, aber: nichts Genaues weiß man nicht. Das ist auch in der deutschen Blogosphäre so, die sich derzeit in weiten Teilen mit Einschätzungen und Diagnosen zurückhält. Im Zweifel wird auf Al-Jazeeras Liveblog oder aber auf Twitter-Korrespondenten vor Ort verwiesen.
Das mag daran liegen, dass die deutsche Öffentlichkeit auf einem Auge blind ist: dem des Fernsehens. Revolution will not be televised: Was bei Scott Heron wie eine Mahnung klang, klingt heute nach Enttäuschung. Die deutschen Nachrichtensender seien „einfach unbrauchbar“, schreibt beispielsweise Abassin Sidiq, dabei bräuchten die Rebellen gerade jetzt Unterstützung: „Weltweit schauen Leute zu und weltweit fühlen die Leute mit und sind genauso angespannt, wie es weitergeht. Es ist wichtig, dass Journalisten vor Ort sind und auch zeigen, dass alles was passiert von jedem Gesehen wird. Sie schützen damit auch die Rebellen.“
Und auch im Online-Netzwerk Twitter brach sich die Enttäuschung Bahn, was "zeitweise“ zu der Feststellung Anlass gab, hier werde man wenigstens präzise und brandaktuell“ informiert, „welche deutschen Medien gerade in Sachen Libyen wo und wie versagen.“ Und das trotz der verfrühten Todesmeldung, die Al-Jazeera in die Welt gesetzt hatte. Ein Wunder, dass noch niemand die hunderste Petition zur Abschaffung der GEZ-Gebühren aufgesetzt hat.
„Leute mit Regierungserfahrung“
Währenddessen fragt sich Ulrich Ladurner, was die Nato tun wird, sollte es zu Racheakten der Rebellen an Zivilisten in Trioplis kommen. Es sei bereits jetzt zu Übergriffen gekommen, aber bisher habe sich die Nato stets darauf verlassen, dass der Übergangsrat die Situation unter Kontrolle bekomme. Dabei werde man es nicht belassen können, wenn man die Bevölkerung schützen wolle, so Ladurner.
Auch im US-Blog "ComparativeConstitutions“ sieht in die Zukunft und wirft einen Blick auf den Verfassungsentwurf der Rebellen. Tom Ginsbourgh findet darin den „bewunderswerten“ Artikel, Mitglieder des Übergangsrates oder sonstige momentan Verantwortliche von der Legislative fernzuhalten, hält diesen Ansatz aber für utopisch: Denn man brauche, schreibt er, „Leute mit Regierungserfahrung“.
In den USA und Großbritannien hat man die zögerliche Haltung zu den Luftangriffen nicht vergessen. John Tabin spekuliert, dass Gaddafis Sturz schon vor Monaten hätte vollzogen werden können, wenn Obama nicht wochenlang gezaudert hätte. Noch im April hatte Leslie Gelb, Berater des Weißen Hauses, prognostiziert: „Von Teheran bis Pjöngjang wird man nach Libyen den Schluss ziehen, dass der Westen sie nicht entscheidend treffen kann.“
Der schwierige Teil der Mission
Noah Shachtmann sammelt im "Dangerroom“ weitere einflussreiche Stimmen, die einen Erfolg der Intervention für ausgeschlossen hielten. Und "order-order“ erinnert an die Blockadehaltung, die Labour-Chef Ed Miliband an den Tag gelegt hatte. Daran werde man sich erinnern müssen, wenn Miliband in Siegerpose vor die Kameras trete.
Andernorts gehen die Überlegungen in die Zukunft. Der Fall Gaddafis wird nicht ohne Auswirkungen bleiben, denn mindestens in Frankreich und in Großbritannien knüpften Sarkozy und Cameron ihre politische Daseinsberechtigung an den Erfolg der Mission in Libyen. Sunny Hundal befürchtet, die Interventionisten könnten daraus eine umfassende Lehre ziehen wollen und im Siegestaumel die Befreiung anderer Länder fordern – beispielsweise Syriens.
Er mahnt, Libyen selbst nicht jetzt schon aus dem Blick zu verlieren: „Cameron könnte wie damals Bush ein ‚Mission accomplished‘ vermelden, und Libyen könnte instabiler und zerrissener als der Irak enden. Wenn wir etwas aus unserer Erfahrung mitgenommen haben, dann das: der schwierige Teil der Mission hat gerade erst begonnen.“
Die BBC meldet indes: Anti-Gaddafi-Hacker hätten Libyens Hauptseite für die Internetverwaltung gekapert. In der Tat grüßen von dort derzeit libysche Rebellen mit den Worten „bye bye Gaddafi“.
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