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Blogger sammelt Zettel im Straßenraum"Zettel voll Ironie und Wortwitz"

Per Aushang suchen Berliner Wohnungen, geklaute Wertsachen und tolle Frauen. Blogger Joab Nist veröffentlicht die Zettel. Er will den Charakter der Stadt einfangen.

Wohnungssuchzettel auf notesofberlin.com Bild: Joab Nist / www.notesofberlin.com
Interview von Laurence Thio

taz: Herr Nist, Sie fotografieren Aushänge und veröffentlichen sie auf Ihren Blog - was sagen die Zettel über die Stadt?

Joab Nist: Wer diese Aushänge anschaut, versteht ein wenig, wie die Leute in Berlin ticken. Die Menschen kommunizieren per Aushang meist unverblümter. Manchmal sind die Gesuche banal, manchmal romantisch oder witzig, oft sind sie auch naiv. Wer zum Beispiel glaubt, mit einem A4-Zettel in einer Millionenstadt ein Mädchen wiederzufinden, ist zumindest sehr optimistisch.

Im Interview: 

Joab Nist, 27, studiert Arts and Media Administration an der Freien Universität Berlin. Aushänge nimmt er als Foto oder Scan unter notes@notesofberlin.com entgegen. Die Adresse seines Blogs ist www.notesofberlin.com

Wie unterscheidet sich Berlin von anderen Städten - in Bezug auf Zettel?

In Berlin gibt es erst mal ein viel größeres Mitteilungsbedürfnis. In Hannover, Frankfurt oder Nürnberg würde mein Blog eher nicht funktionieren. Als ich nach Berlin kam, sind mir die Aushänge sofort aufgefallen. Seit zwei Jahren fotografiere ich sie jetzt, dazu kommen Notizen an Häuserwänden oder Plakaten. Die Leute ergänzen hier auf einem Poster einfach mit Filzer ihre Meinung, das macht man in München in dem Maße nicht. Ein weiterer Vorteil Berlins: Kritzeleien und Aushänge werden nicht so schnell wieder entfernt. In Paris, London und New York ist das schneller wieder weg.

Per Aushang werden Wohnungen, entlaufene Katzen oder verlorene Schlüssel gesucht. Was ist daran spannend?

Solche Zettel poste ich natürlich nicht. Der typische Berlinzettel ist schwer zu beschreiben, er hat Ironie und Wortwitz. Der Zettel braucht einfach das gewisse Etwas. Auf einer Tafel in Friedrichshain stand: "Vorderhaus! Wenn ihr schon bumst, dann schmeißt Eure benutzten Gummis gefälligst in den Müll und nicht aus dem Fenster. Einsammeln!" Ein Zettel, der mir auch gefallen hat, war ein Wohnungsgesuch eines Illustrators. Er hat einfach seinen Wohnungswunsch gezeichnet und dann noch geschrieben, er würde auch widrigste Bedingungen akzeptieren.

Und das ist typisch Berlin?

Ja, ich finde schon.

An welchen Orten finden Sie die Aushänge?

Nicht nur an großen Kreuzungen. Ich gehe in Hausflure und schaue hinter Stromkästen. Der Blog ist als ein Gemeinschaftsblog angelegt: Wer einen Zettel findet, kann ihn fotografieren und mir mailen. Ich poste ihn dann im Namen des Einsenders.

Es gibt soziale Netzwerke und virtuelle Pinnwände - warum hängen die Menschen überhaupt noch Aushänge auf?

Einen Zettel kann man direkt dort aufhängen, wo ihn bestimmte Leute lesen sollen. Zum Beispiel Leute, die in der Straße wohnen, wo man seinen Ehering verloren hat. Außerdem probieren die Leute auf diesen Zetteln ihre Persönlichkeit rüberzubringen, indem sie einen eigenen umgangssprachlichen Ton wählen oder ihren Zettel kreativ verzieren. Manchmal klappt das und sie bekommen deshalb eine tolle Wohnung.

Gibt es ein Vorbild für den Blog?

Ich versuche, mit diesen Zetteln Berlin zu charakterisieren. Ein Projekt, das das auch probiert, kenne ich nicht. Es gibt natürlich das Found-Magazine aus New York. Die Macher sammeln alles: verlorene Fotografien, Zettel, Gegenstände. Dann machen sie in unregelmäßigen Abständen ein Magazin aus diesen Fundstücken. Mein Traum ist es, auch mal ein Buch mit den Berlin-Aushängen herauszubringen.

Gastronomen, Galerien und Unternehmen hängen in letzter Zeit öfter Aushänge auf. Der Zettel liest sich erst wie ein normales Gesuch, dann merkt man, es ist kommerziell. Was halten Sie vom Guerilla-Marketing?

Es stört mich. Ich hoffe nicht, dass diese Werbeplattform weiter von großen Unternehmen ausgenutzt wird. Bei Galerien und Kneipen ist es teilweise noch sympathisch. Aber die BVG hat es Mitte September auch gemacht. Auf einem Aushang versuchte ein Junge, ein Mädchen wiederzufinden, das er in der U-Bahn gesehen hatte. Es stellte sich dann als Werbung für das Flirtportal der Verkehrsbetriebe heraus. Die Kommunikation per Zettel ist eigentlich sehr authentisch - wenn jetzt zunehmend damit geworben wird, dann werden die Leute die Zettel aus Überdruss nicht mehr lesen.

Was haben Sie mit Ihrem ersten eigenen Aushang gesucht?

Nach einer Wohnung. Ich habe über 100 Kopien aufgehängt. Ein anderes Mal wollte ich mithilfe eines Zettels ein Mädchen wiederfinden, das ich in einem Club kennen gelernt hatte.

Und hatten Sie Erfolg?

Sie hat sich bei mir gemeldet, die Frau fürs Leben war es nicht. Mit der Wohnung lief es besser: Ich habe eine bekommen, die praktisch unter der Hand wegging.

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