: Blinde Politiker
betr.: „Rechts vor links am 1. Mai“, „Nachtwächter Werthebach“, taz vom 26. 4. 01
Es ist doch schon beschämend, mit ansehen zu müssen, wie das Demonstrationsrecht, ein hohes Rechtsgut unserer Verfassung, von den verantwortlichen Politikern immer mehr ausgehöhlt, zu trickreichen politischen Manövern missbraucht und letztendlich immer weiter eingeschränkt wird.
[...] Die seit vielen Jahren von konservativen Politikern hochstilisierte und als „Chaotendemonstration“ bezeichnete 1.-Mai-Veranstaltung der Linken wurde nunmehr einfach verboten, obwohl die Ausschreitungen in der Vergangenheit nicht nur in Einzelfällen auf das provozierende Fehlverhalten von Polizeibeamten zurückzuführen war: Das Deeskalitionsprinzip war in Wirklichkeit nur vorgeschoben und wurde gar nicht ernsthaft praktiziert!
Eine andere, von den Nazis in diesem Jahr angemeldete Demonstration wird nun aber, nachdem sie zwar vom Innensenator verboten wurde, doch stattfinden, weil sie das Verwaltungsgericht – allerdings mit Auflagen – ausdrücklich erlaubt hat! Es ist schon recht seltsam, dass der Innensenator gerade bei Ablehnungen von Nazi-Demonstrationen immer ein solches Geschick besitzt, dass die Richter aufgrund der wenig stichhaltigen behördlichen Begründungen später gar nicht anders entscheiden können, als das Verbot der Innenverwaltung wieder aufzuheben! Wir erinnern uns nur an den Nazi-Aufmarsch durch das Brandenburger Tor. Ein ähnliches Szenario droht uns nun am 1. Mai 2001. Angesichts solcher Entwicklungen sehe ich unsere Demokratie ernsthaft gefährdet, aber nicht allein durch die Zunahme des Rechtsextremismus, sondern durch die (absichtliche) Blindheit vieler Politiker! THOMAS HENSCHKE
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