: Blinde Flecken und schräge Blicke
betr.: „Das paradoxe Erbe des Dagegen“ von Peter Fuchs, taz vom 14. 2. 00
Aktuelle Ereignisse sind in letzter Zeit auffallend häufig Anlass systemtheoretischer Erklärungsversuche in der taz. Selten aber tritt derart drastisch das empirieferne, sinnleere und geschichtslose Gesellschaftsbild mancher Luhmann-Interpreten zu Tage.
Der Beitrag von Peter Fuchs, ansonsten ein ausgewiesener Fachmann der selbst ernannten Super-Theorie, erweckt den Eindruck eines systemtheoretisch inspirierten, gleichwohl ungelenken Versuchs, auf die fraglos vorhandenen Aporien von Protestbewegungen aufmerksam zu machen, der in stellenweise absurde Verkürzungen und Gleichsetzungen mündet.
So ist es allenfalls oberflächlich betrachtet instruktiv, formale Analogien zwischen dem Protest der neuen sozialen Bewegungen (Friedens-, Frauen-, Ökologie-, Alternativ- oder Anti-Kernkraft-Bewegung) und dem xenophoben „Dagegen“ der so genannten neuen Rechten herzustellen. Mit Blick auf Inhalte und Ziele ist dieser Zusammenhang sachlich falsch und in historischer Hinsicht unzulässig.
Protest in modernen, risikoreichen Gesellschaften auf selbstgerechtes, besserwisserisches Moralisieren zu reduzieren (wie dies auch Michael Miersch im taz.mag „Die ökologistische Kehrseite“ vom 5./6. 2. 00 versucht), verkennt neben der (jedes System kennzeichnenden) Grenzziehung gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt die andere Hälfte der zweiseitigen Kommunikationsform „Protest“: die mobilisierungstaugliche Universalität und soziokulturelle Relevanz des gewählten Themas. Protest ist keineswegs, wie Fuchs schreibt, „inhaltsleer“, und er steht auch nicht voraussetzungslos „einfach sozial zur Verfügung“. Hier entlarvt sich der systemtheoretische Formalismus als evolutionärer Positivismus. Wer derart kurzschlüssig argumentiert, hat Demokratie als exklusive Verhandlungsmasse sozialer Funktionssysteme aufgegeben. Den populistischen Erfolg eines Haider erklärt er damit ebenso wenig wie die Zusammenhänge von Protest und gesellschaftlichen Problemlagen.
„Giftgrünen Ärger“, wie Fuchs vermutet, wird sein Beitrag bei den alten Protestbewegungen kaum auslösen. Dazu müsste zuvor deren gegenwärtiger Aufenthaltsort geklärt werden. Er reiht sich aber ein in dasselbe kurzschlüssige, postmoderne anything goes, das mit Dirk Baecker zuvor schon an gleicher Stelle (taz-Kultur, 24. 1., Seite 14) einen weiteren profilierten Systemtheoretiker Korruption als vertrauensbildende Vernetzungstechnik von Politik, Wirtschaft und Bürokratien trivialisieren ließ.
Rechtsradikalismus wie Korruption auf dem Seziertisch der Systemtheorie zu zerlegen, ist die eine Seite der Gesellschaftsanalyse, eine Beobachterposition anzugeben, von der aus sich wirkungsvolle gesellschaftliche Kritik an Differenzbildungen (wir/die, Freund/Parteifreund, Österreich/Haiderreich) formulieren lässt, die andere.
Frank Krämer, Münster
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